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Das Konzept, dass bei Alkoholabhängigen und schwer Gefährdeten auf jeden Fall sofortige und absolute Abstinenz das Ziel sein müsse, hält der Suchtexperte Philip Gorwood von der Pariser Descartes Universität für überholt.

Foto: dpa/Bodo Marks

Wien - Sechs Prozent der Todesfälle bei Männern und 2,5 Prozent der Sterbefälle von Frauen sind auf Alkoholmissbrauch beziehungsweise -abhängigkeit zurückzuführen. Neue Strategien sollen nun höhere Erfolgsraten bei der Behandlung von alkoholabhängigen Menschen erzielen. Dabei handelt sich einerseits um ein neues Medikament, andererseits um eine nicht-medikamentöse Therapie, hieß es am Montag im Rahmen einer Pressekonferenz zum Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie (ECBNP) in Wien.

Modernste molekularbiologische Methoden besitzen das Potenzial um der Alkoholkrankheit und ihren Vorstufen den Nimbus von "Willensschwäche" oder "Verhaltensstörung" zu nehmen. "Abhängigkeit ist eine Krankheit des Gehirns, bei der Rückfälle dazu gehören", ist Philip Gorwood von der Pariser Descartes Universität überzeugt.

Medikamente

Das ermöglicht einerseits die Konzentration auf die Erforschung der eigentlichen Krankheitsprozesse, andererseits führte es weg vom ehemaligen Konzept, dass bei Alkoholabhängigen und schwer Gefährdeten auf jeden Fall sofortige und absolute Abstinenz das Ziel sein müsse. "Wenn ich einem Alkoholiker nach vielen Jahren sage, dass er gestern den letzten Schluck für sein weiteres Leben getan hat, kann er sich das überhaupt nicht vorstellen. Wir wollen deshalb zunehmend den gefährlichen Konsum reduzieren helfen", erklärt Suchtexperte Gorwood.

In medikamentöser Hinsicht gibt es seit einigen Jahren das Mittel "Baclofen", das ursprünglich zur Muskelentspannung entwickelt wurde. Ein alkoholkranker französischer Kardiologe unternahm damals Selbstversuche mit hohen Dosen - seither wird es immer häufiger als Arzneimittel  zur Beherrschung der Gier nach Alkohol eingesetzt.

Ähnlich soll "Nalmefen" wirken, ein am Opiumrezeptor wirkendes Medikament, das sich derzeit in Europa in der Zulassungsphase befindet. Auch dieses Arzneimittel soll das "Craving" nach Alkohol und den Kontrollverlust nach bereits geringem Konsum verhindern.

Alternativer Ansatz

Arzneimittel sind jedoch nur ein Teil der zukünftigen Ansätze. Gorwood hat bereits ein System entwickelt, bei dem Patienten gemeinsam mit anderen Betroffenen während der Behandlung  täglich das Radfahren vor einem Monitor trainieren. Dadurch sollen sie buchstäblich wieder auf andere Gedanken gebracht werden.

Diese Therapie entwickelte der Wissenschaftler durch die Erkenntnisse aus Experimenten mit Mäusen und Ratten: "Wenn man Versuchstieren Kokain gibt, es ihnen dann wegnimmt und sie in denselben Käfig wie vorher setzt, werden sie automatisch die Ecke ansteuern, in der sich das Kokain befunden hat. Reichert man aber ihre Umwelt während der Entzugsphase an, reduziert sich dieses Verlangen", so Gorwood.  Sein Fazit daraus: "Bei Suchtpatienten lässt sich durch eine Anreicherung der Umwelt mit Sport sowie gesellschaftlichen Kontakten eine Veränderung der mentalen Fokussierung herbeiführen".

In Zukunft soll außerdem versucht werden, durch die elektrische Stimulation von bestimmten Hirnregionen jene Schaltkreise zu durchbrechen, die die Abhängigkeit ausmachen. (APA/red, derStandard.at, 15.10.2012)