Wien - Eine allgemeine Verkürzung der Lehrlingsausbildung für Maturanten stößt bei Experten auf Skepsis. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl hatte zuletzt mit seinem Vorschlag für eine nur einjährige Lehre nach der Matura aufhorchen lassen. Eine Expresslehre sei in den kaufmännischen Berufen "ein denkbarer Weg" im Gegensatz zum Handwerk, sagte Peter Schlögl, Geschäftsführer des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung, am Dienstag. Auch IHS-Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer plädiert für eine differenzierte Herangehensweise.

"Eine pauschale Regelung ist ein bisschen zu platt", zeigte sich Schlögl skeptisch. Eine Anrechnung von kaufmännischen Kenntnissen sei hingegen leicht durchführbar. Es mache keinen Sinn etwas erlerntes noch mal machen zu müssen. In handwerklichen Berufen gebe es aber wenig Spielraum für eine Expresslehre. Schlögl ortet aber noch eine "mentale Barriere" bei Maturanten eine Lehre zu machen. In Deutschland, wo es strengere Zugangsbeschränkungen an den Universitäten gebe, seien berufliche Ausbildungen nach dem Abitur deutlich stärker verbreitet. In Australien würden sogar Bachelor-Uniabsolventen noch eine Lehre anhängen.

Mitterlehner will Lehrlingsausbildung attraktiver gestalten

IHS-Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer plädiert dafür, den schulischen Teil der Lehre auszuweiten, um etwa mehr IT-Kenntnisse zu vermitteln. Auch er hält eine allgemeine Verkürzung der Lehre für Maturanten nicht für sinnvoll. Dies müsse man sich je nach Berufsgruppe ansehen. Insgesamt sei es wichtig, die Lehrberufe attraktiv zu halten, um qualifizierte Jugendliche anzusprechen. Die aktuell ausbezahlten Lehrlingsentschädigung hält Hofer für angemessen.

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) will die Lehrlingsausbildung attraktiver gestalten und die Zahl der Lehrlingsabbrecher senken. "Mit Blick auf den demographischen Wandel können wir es uns nicht mehr leisten, dass rund 15 Prozent der Lehrlinge ihre Ausbildung nicht beenden", sagte er in einer Aussendung am Dienstag anlässlich der Informationsveranstaltung "Tag der Lehre" in Wien. Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl drängt weiterhin auf eine Reform der Lehre: Die WKÖ habe Vorschläge zur Attraktivierung der Lehre auf den Tisch gelegt. Nun sei "die Politik am Zug, damit der schon bestehende Fachkräftemangel in Österreich mittelfristig behoben wird". Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner verwies auf die wichtige Rolle der Lehrbetriebe: Rund 36.000 Betriebe würden 120.000 Jugendlichen im Rahmen der Dualen Ausbildung eine Zukunftsperspektive geben.

Die Gewerkschaftjugend fordert hingegen mehr Engagement der heimischen Betriebe in der Lehrlingsausbildung: "Die Zahl der Lehrstellen ist seit den 1980er Jahren um ein Drittel zurückgegangen. In den überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen (ÜBA) sind derzeit 9.000 Jugendliche, die in Wirklichkeit alle eine Lehrstelle in einem Betrieb suchen - und diese sofort antreten können", betonte Jürgen Michlmayr, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ). Österreichs Unternehmen sollten der Jugend eine Chance geben, "anstatt gezielt nach Spanien zu fahren, um dort Fachkräfte abzuwerben". Auch BZÖ-Lehrlings- und Jugendsprecher Stefan Markowitz lehnt die Facharbeitersuche im europäischen Ausland ab: "Wir brauchen keine Marketingshows in anderen Ländern, sondern genug Lehrstellen für österreichische Jugendliche."

FPÖ lehnt Kurzlehre ab

SPÖ-Lehrlingssprecher Christoph Peschek wünscht sich "mehr Qualität in der Lehrausbildung, mit welcher auch ein Zugang zum tertiären Bildungsbereich ermöglicht werden soll und verpflichtende betriebliche Ausbildungspläne, eine Ausweitung der Berufsschulzeit sowie externe Qualitätskontrollen".

FPÖ-Jugendsprecher Christian Höbart lehnt eine Kurzlehre strikt ab: "Mit der 'Express-Ausbildung' genannten Kurzlehre werden alle Lehrberufe und damit auch die Ausbildung der Lehrlinge entwertet. Gleichzeitig schadet man damit den vielen engagierten Lehrern in den berufsbildenden Schulen."

Die Grünen fordern eine umfassende Reform der Lehrlingsausbildung: "Einmal Tischler immer Tischler, einmal Friseurin immer Friseurin. Nur durch gute Allgemeinbildung auf nationaler und internationaler Ebene, inklusive Fremdsprachenkenntnisse, kann diese Bildungssackgasse durchbrochen werden", erklärte die Jugendsprecherin der Grünen, Tanja Windbüchler-Souschill.(APA, 16.10.2012)