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Als gefräßig und opportunistisch gelten die schwarz gefiederten Kormorane: Sie nehmen das, was sie am leichtesten erbeuten können.

Foto: Corbis

Der Dreck ist der Schlüssel. Er fällt aus den Bäumen herab, und die Wissenschafter fangen ihn am Boden mit Kunstfaserplanen auf. Einige Meter höher sitzen die Vögel. Ihr schwarzes Gefieder und ihre langen Hälse weisen sie unverkennbar als Kormorane aus.

Die Tiere nutzen das Waldstück im Naturschutzgebiet "Mündung der Tiroler Achen" am Ufer des oberbayerischen Chiemsees als Brut- und Rastplatz. Für Michael Traugott eine perfekte Gelegenheit. Der Ökologe von der Universität Innsbruck und sein Team sammeln zu Forschungszwecken gezielt Kormoran-Kotproben und Speibälle ein. "Für die DNA-Analysen brauchen wir frisches Material", betont Traugott. Alle zwei Wochen werden die Planen ausgebreitet. Eine echte Fleißarbeit.

Der Hintergrund dieser Aktionen ist ein uralter Konflikt. Die Innsbrucker wollen einen besonders detaillierten Einblick in die Ernährungsgewohnheiten der Vögel erlangen, denn Phalacrocorax carbo, der Kormoran, frisst fast ausschließlich Fisch. Weil dieser allerdings auch gerne von Homo sapiens verzehrt wird, gerieten und geraten beide Spezies zwangsläufig aneinander. Der fischende Mensch betrachtete die schwarzen Vögel oft als einen seiner ärgsten Konkurrenten. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden die Tiere deshalb gnadenlos verfolgt, und auch heute noch sähe so mancher Angler, Teichwirt, oder Berufsfischer den Kormoran gerne dort, wo er schon mal war: am Rande der Ausrottung. Zumindest in Europa.

Abschussforderung

Strenge Schutzmaßnahmen haben seit den 1980ern eine Erholung der Kormoran-Populationen bewirkt. Die Vögel sind wieder ein normaler Bestandteil der heimischen Fauna, und damit ist der besagte Konflikt erneut aufgeflammt. Mit neuen Fronten. Naturschützer streiten sich leidenschaftlich mit der Fischereifraktion. Letztere sieht sich immer wieder in ihrer Existenz bedroht und fordert verstärkt Abschüsse. Zu Recht?

Der Kormoran wird für diverse fischereiökologische Probleme zumindest mitverantwortlich gemacht. Er soll unter anderem am Kollabieren der europäischen Aalbestände beteiligt sein und vielerorts auch am Schwinden der Äschen (Thymallus thymallus). Angeblich fressen die Schwarz gefiederten gar ganze Gewässer praktisch leer. So behaupten verärgerte Angler zum Beispiel, im südwestdeutschen Neckar gäbe es kaum noch Fische mittlerer Jahr-klassen, weil diese fast alle den Kormoranen zum Opfer fallen. Ortsansässigen Biologen dagegen zeigt sich ein anderes Bild. Das Konkurrenzdenken der Hobbyfischer scheint deren Wahrnehmung erheblich zu beeinflussen.

Die meisten Untersuchungen zum Ernährungsverhalten der Kormorane deuten auf eine eher harmlose Rolle dieser Vogelspezies hin. Die Tiere gebärden sich normalerweise als Opportunisten. Sie nehmen das, was sie am leichtesten erbeuten können. In der Mehrzahl der europäischen Binnengewässer stehen deshalb Fische wie Rotauge, Barsch und Brachse auf den Spitzenplätzen des Kormoran-Speisezettels - Massenarten ohne großen wirtschaftlichen Wert.

Ein Langzeitvergleich der Fischereierträge am südschwedischen Ymsen-See zeigte keine wesentlichen Veränderungen auf, auch nicht, nachdem sich dort eine Kormoran-Kolonie angesiedelt hatte. Laut einer kürzlich im ICES Journal of Marine Science veröffentlichten Studie sind im Brackwasser der schwedischen Ostseeküste Stichlinge, Aalmutter und Heringe die wichtigsten Beutefische der gefiederten Fischer. Aale, Hechte und Zander spielen dort als Kormoran-Futter praktisch keine Rolle.

Es gibt allerdings auch einige Studien, die lokale Schäden durch Kormorane nachweisen. Vor allem in Karpfenteichen können die Vögel große Verluste verursachen. Für Ärger sorgen die Tiere auch am schottischen Loch Leven. Dieser See ist bei Anglern besonders beliebt und wird deshalb regelmäßig mit Forellen aufgestockt. Die Kormorane nehmen das Angebot eines derart reich gedeckten Tisches gerne an und vertilgen jährlich Zehntausende der begehrten Fische, wie das Journal of Zoology berichtet.

Ernährungsgewohnheiten

Trotz der vielen Untersuchungen werfen die Ernährungsgewohnheiten von Ph. carbo der Wissenschaft noch Fragen auf. Einige davon hoffen Michael Traugott und sein Team bald klären zu können. Vor gut einem Jahr starteten die Wissenschafter ihr Forschungsprojekt am Chiemsee.

"Wir wollen wissen, was die Kormorane hier im Jahresverlauf fressen", sagt Traugott. Gibt es zum Beispiel Zusammenhänge zwischen dem Fortpflanzungszyklus der Vögel und dem jahreszeitlichen Verhalten der Beutefische? Wie stark nutzen die Tiere Fischbestände anderer Gewässer in etwa 50 Kilometern Umkreis um den See als Nahrungsquelle? Welche ökologischen Auswirkungen hat ihr Auftreten dort?

Um solche Details exakt studieren zu können, setzen die Innsbrucker Experten mit finanzieller Unterstützung durch den öster reichischen Wissenschaftsfonds FWF auf eine bisher einzigartige Kombination unterschiedlicher Methoden. Die Speiballen und der Kot der Kormorane werden nicht nur auf die in ihnen enthaltenen Gräten und Gehörknöchelchen von Fischen hin untersucht. Stattdessen extrahieren die Forscher auch DNA - von den Vögeln selbst wie auch die ihrer Beute. Eine Vergleichsdatenbank mit Gensequenzen von 40 europäischen Fischarten wurde bereits angelegt. Anhand des Vogelerbguts soll sich zudem zeigen, ob männliche Kormorane anderes Futter fressen als die Weibchen.

Parallel zu diesen Untersuchungen analysieren die Wissenschafter in Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität für Bodenkunde in Wien die chemische Zusammensetzung der Fischknochen. Die Mengenverhältnisse von Isotopen der Elemente Strontium, Calcium und Magnesium untereinander geben präzise Aufschluss über die Herkunft solcher Überreste. Das Wasser jedes Sees, Bachs oder Flusses hinterlässt im Knochenmaterial einen un verwechselbaren chemischen Fingerabdruck, erklärt Michael Traugott. Umfassende Ergebnisse sollen in zwei Jahren vorliegen.

Traugott hofft, dass die neuen, detaillierten Daten mehr Sachlichkeit in die oft emotional geführte Kormoran-Debatte bringen werden. Managementpläne für Fische und Vögel müssen auf harten Fakten basieren, betont der Experte. "Es gibt keinen anderen Weg." (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, 17. 10. 2012)