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Angst vor einem Winter wie 2010: Obdachlose mazedonische Roma campen in Skopje.

Foto: EPA/GEORGI LICOVSKI

Skopje/Zagreb - Sie hatten vor zwei Tagen versucht, illegal über die mazedonisch-kosovarische Grenze zu gelangen. Die sechs Erwachsenen bezahlten je 800 Euro, um nach Deutschland gebracht zu werden, die Kinder je 200. Der Schlepper wurde festgenommen und die Familie wieder zurück nach Mazedonien gebracht. Das mazedonische Innenministerium ist stolz auf den Erfolg. In Skopje braucht man dringend Meldungen darüber, wie effektiv man "den Missbrauch der Visumsfreiheit" und "falsche Asylanträge" bekämpft. Denn auf dem Balkan herrscht Angst, dass man die Schengen-Visumsfreiheit (seit 2010 und 2011) wieder verlieren könnte. Der serbische Premier Ivica Dacic kündigte sogar an, die Kosten für die Asylbewerber aus seinem Land in der EU zu übernehmen. Bei ihnen handle es sich vorwiegend um Roma und Albaner, so Dacic.

Die Panik hat einen konkreten Grund: Sechs EU-Innenminister (Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Schweden) haben sich Anfang Oktober in einem Brief bei EU- Innenkommissarin Cäcilia Malmström über den Anstieg an Asyl-Anträgen von Personen "aus Balkanstaaten" beschwert, die die Visumsfreiheit nützten, um in den Schengenraum zu kommen.

Sparen beim Heizen

EU-weit liegt Serbien erst an vierter Stelle, was die Herkunft der Asyl-Antragssteller betrifft, in Deutschland allerdings zurzeit auf Platz eins. Die Zahl der Anträge von serbischen und mazedonischen Staatsbürgern stieg bereits 2010, vor allem von September bis Jänner. Genau zu der Zeit, als es kalt wurde. Viele Menschen, die etwa im Roma-Viertel Šutka in Skopje in Verschlägen aus Brettern und Blech wohnen, haben keine Heizung. Sie flüchten schlichtweg vor Frost und Krankheit. In den Balkanstaaten, die schwer unter der Wirtschaftskrise leiden, wird zudem beim Heizen gespart.

Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich wetterte bereits gegen den Asylmissbrauch: "Der massive Zustrom serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger muss unverzüglich gestoppt werden. Dazu muss es möglich sein, dass die EU die Visumsfreiheit für diese Länder schnellstmöglich aussetzt." Friedrich geht es um eine Klausel im EU-Recht, mit der die Visafreiheit aufgehoben werden kann, wenn es zu einem drastischen Anstieg der Asylanträge kommt. Die Entscheidung darüber hängt im Gesetzgebungsprozess seit Monaten zwischen EU-Rat und EU-Parlament.

Experten warnen aber davor, die Visumsbefreiung vorschnell infrage zu stellen, zumal die Botschaften das Konsularpersonal für Visa längst heimgeschickt haben. "Die Visumsbefreiung hat sich im Großen und Ganzen bewährt", sagt Tobias Flessenkemper von der deutschen Südosteuropa-Gesellschaft. Durch sie würden aber die Armut, die nicht funktionierenden Sozialsysteme und die Diskriminierung auf dem Balkan auch innerhalb der EU klarer gesehen. "Damit entsteht Druck, die EU-Hilfen besser einzusetzen, und Druck vor Ort. Die politisch Verantwortlichen können es sich nicht leisten, dass die Visumspflicht wieder eingeführt wird oder bestimmte Gruppen, wie Roma, dafür verantwortlich gemacht werden", so Flessenkemper. Die Gefahr besteht aber trotzdem.

Mehrheit und Minderheit

"Wir wollen nicht, dass eine kleine Gruppe der Mehrheit Probleme macht, wir versuchen die zu stoppen", sagt Ivo Kotevski, Sprecher des mazedonischen Innenministeriums, zum STANDARD. 6500 Personen wurden allein im letzten Jahr an der Grenze zurückgewiesen, etwa solche, die kein Rückfahrticket, keine Hotel-Reservierung oder kein Geld hätten. Offiziell geht man nicht nach ethnischen Kriterien vor. Doch die, die zurückgewiesen werden, sind trotzdem meistens Roma. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 17.10.2012)