Damaskus - Die Präsenz radikal-islamischer Salafisten unter den Rebellen in Syrien hat mittlerweile "besorgniserregende" Ausmaße angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Bericht des US-amerikanischen Think-Tanks "International Crisis Group" (ICG). Der Bericht basiert auf Gesprächen mit Rebellen in Syrien sowie auf der Auswertung ihrer Internetkommunikation, schreibt "Spiegel Online" am Mittwoch.

Mehrere Faktoren begünstigen demnach den Aufstieg der Salafisten in Syrien. Der Opposition im Exil aus liberalen Anführern und pragmatischen Islamisten sei es seit Beginn des Aufstands nicht gelungen, sich zu organisieren und den Syrern eine Alternative anzubieten. Auch vom Westen seien viele Syrer enttäuscht. Trotz der unverminderten Gewalt verweigere die internationale Gemeinschaft bisher eine Intervention.

Saudi-Arabien und Katar liefern Waffen

Saudi-Arabien und Katar, die Waffen an die Rebellen liefern, scheinen vor allem religiöse Gruppen zu unterstützen. Syrische Milizen hätten daher ein Interesse, ihre eigene salafistische Ausrichtung zu übertreiben, um an die begehrte Unterstützung zu kommen. Auf YouTube untermalten viele Milizen ihre angeblichen Siege mit Koransuren und schmückten sich mit Flaggen, auf denen das muslimische Glaubensbekenntnis steht. Wie viel von diesem demonstrativen Salafismus echt sei und wie viel Propaganda, um an Unterstützung aus dem Golf zu kommen, sei kaum zu unterscheiden, so die ICG.

Der Salafismus biete eine einfache Antwort und einen ideellen Halt für die von Krieg und wirtschaftlicher Not am härtesten getroffene Landbevölkerung, die das Gros der Rebellenkämpfer stelle.

Milizionäre mit Kampferfahrung im Irak oder in Libyen sickerten nach Syrien ein. Ihre Erfahrung mache sie zu geschätzten Kämpfern. Manche von ihnen stünden dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahe. Nicht alle ausländischen Kämpfer würden sich jedoch als Jihadiste sehen. Statt eines religiösen Krieges sähen sie in dem Konflikt einen Volksaufstand gegen einen Tyrannen, den sie unterstützen wollten, ähnlich wie die internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg in den 1930er Jahren.

Als "wichtigsten Faktor" hinter der Ausbreitung des Salafismus in Syrien macht der ICG-Bericht die Konfessionalisierung des Aufstands aus. Das Regime von Präsident Bashar al-Assad bezeichnete die Aufständischen von Beginn an als islamistische Terroristen und verfolgte sie mit aller Brutalität, auch schon zu einem Zeitpunkt, als es sich noch um unbewaffnete Massendemonstrationen handelte, die Überkonfessionalität propagierten. Außerdem setzt Assad hauptsächlich alawitische Spezialeinheiten ein, die von der libanesisch-schiitischen Hisbollah und iranisch-schiitischen Garden unterstützt werden.

Der Bericht betont jedoch auch, dass mehrere Faktoren einen Durchmarsch der Salafisten in Syrien erschweren: Das multi-ethnische und multi-konfessionelle Land habe eine lange Tradition religiöser Toleranz und eines gemäßigten Islam. Zudem seien sich die Syrer bewusst, welch verheerende Konsequenzen die konfessionellen Bürgerkriege in den Nachbarländern Libanon und Irak hatten. Noch sei vieles im Fluss. "Die meisten bewaffneten Gruppen haben noch keine klare Ideologie oder Führungsstruktur entwickelt", schreibt ICG. (APA, 17.10.2012)