Das Ohr am Arm kostete in der Folge fast den Arm.

Foto: ORF/Styblo TV

Wien - "Teilweise bedrohlich und verstörend" wären die Biokunstwerke, kündigte Paul Kraker vom ORF den Dokumentarfilm "BioArt - Kunst aus dem Labor" des Wiener Filmemachers Robert Styblo an. Was man nachvollziehen konnte, als der Film etwa zeigte, wie sich der australische Biokünstler Stelarc ein Ohr samt Mikrofon unter die Haut des Unterarms implantierten ließ. Nach der Premiere Mittwoch Abend im Naturhistorischen Museum Wien diskutierten Experten aus Wissenschaft und Kunst, was das Neue an Biokunst sei und wie ihre Zukunft aussehen könnte.

Für die Biokunst arbeiten Künstler im Labor, sie lernen dafür die Techniken der Lebenswissenschafter und setzen sie in ihren Werken um. Biokunst sei aktuell weder marktorientiert, noch dafür tauglich, weil es sich dabei meist um langwierige und aufwendige Prozesse und weniger um Objekte handelt, wie in dem Film erklärt wird. Was davon tatsächlich Kunst ist, sei allerdings noch nicht ganz entschieden, sagte Günter Seyfried von der Universität für angewandte Kunst Wien bei der Diskussion: "Da es eine neue Kunstform ist, muss sie sich erst dem Diskurs stellen."

Flaues Gefühl in der Magengrube

"Das Entscheidende, was die Biokunst bisher geleistet hat, ist eine Form von Aufmerksamkeit zu schaffen, wie weit heutzutage schon das Lebendige manipuliert, synthetisiert und auch künstlich hergestellt werden kann", erklärte die Kunsthistorikerin Ingeborg Reichle in der Doku. Die Künstler würden zeigen, wie hier bereits in Grenzbereiche vorgedrungen wird, die für viele Menschen kaum vorstellbar seien.

Die Wissenschaftsjournalistin Astrid Kuffner bezeichnete die Biokunst in der Diskussion als Nische, doch man könne daraus allerhand lernen, "wenn man das flaue Gefühl in der Magengrube überwindet". Dies stellte sich etwa ein, als Stelarc im Film kichernd zugab, dass er bei seiner Aktion "Ear on Arm" fast den Arm für das zusätzliche Ohr gegeben hätte. Denn bei der zweiten Operation habe sich die Wunde, vermutlich durch das eingebaute Mikrofon, entzündet.

"Das dümmste Experiment"

Styblo war mit seinem Team auch bei der Französin Marion Laval-Jeantet, die sich Pferdeblut injizieren ließ und erklärte, sie hätte danach die Wahrnehmung und Impulse eines Pferdes gehabt und dessen starke körperliche Kraft empfunden, sich quasi "wie der leibhaftige Zentaur gefühlt". "Als Wissenschafter halte ich das für das dümmste Experiment", sagte der Nanobiotechnologie-Pionier Uwe Sleytr von der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien. "Sie wird dabei nicht zum Pferd, sondern zum Antipferd, weil ihr Blut Antikörper dagegen entwickelt." Ihre Gefühle seien ein hervorragender Beleg für den Placeboeffekt. Sleytr erklärte jedoch, die Künstler sollten maximale Toleranz und Freiheiten haben, solange sie die Versuche nur an sich selbst machen. Er habe da "eine hohe Toleranzschwelle".

Joe Davis, einen facettenreichen Biokünstler vom Massachusetts Institute of Technology (USA) bezeichnete er hingegen als hochintelligenten Ingenieurswissenschafter. Davis sei am Institut so etwas wie ein "staatlich lizenzierter Hofnarr", ergänzte Markus Schmidt, Experte für Bio-Technikfolgenabschätzung, von dem könnten die Wissenschafter viel lernen könnten.

Biokünstler aus aller Welt

Für den Film hat Styblo rund um den Erdball Biokünstler besucht. Dabei hat er etwa Bekanntschaft mit dem bescheidenen Japaner Jun Takita gemacht, der sein Gehirn scannen ließ und eine 3-D-Rekonstruktion mit genetisch verändertem Moos überzog. Ebenso wie mit der exzentrischen französischen Künstlerin Orlan, die ihr Gesicht durch plastische Chirurgie verändern lässt und bei der seine Assistentin ein halbes Jahr lang täglich per Telefon um einen Termin bitten musste. Als Styblo Orlan beinahe aufgegeben hatte, rief sie an einen Montag Nachmittag bei ihm an und sagte: Ok, sie gäbe Mittwoch ab zehn Uhr früh ein Zweistundeninterview. "Wir waren da und haben zwei Stunden bekommen. Dann ist sie aufgestanden und hat gesagt: Es ist vorbei", berichtete Styblo.

Eine Kurzfassung des Films war bereits im vergangenen Jahr im ORF zu sehen. Die nun auf 55 Minuten ausgebaute Langfassung soll laut Styblo auf Arte und erneut im ORF gesendet werden, die Termine dafür stehen noch nicht fest. (APA, 18.10.2012)