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Nichts für Nachtblinde: Der Schwarze Kaiman zeigt sich gerne bei Dunkelheit im Schwarzwasser des Rio Negro.

Foto: Thierry Montford/Corbis

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In den raubtierärmeren Seitenarmen wagen die Kinder ein Bad.

Foto: REUTERS/Ricardo Moraes

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Die Fahrt auf dem Ariau-Arm des Amazonas ist ein Angebot an alle Abendrot-Anbeter.

Foto: Galen Rowell/Corbis

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In diesem Vogelschutzgebiet erzählt die Grünwangenamazone - eine Papageienart, die gerne plaudert - ohne Käfig vom Leben am Fluss.

Foto: Corbis / Eric Hoskin

Anreise & Anbieter
Keine Direktflüge von Österreich nach Manaus; günstige Brasilien-Flüge: American Airlines; Flussexpeditionen: zum Beispiel mit der Alpinschule Innsbruck; hilfreiche Infos vom Lateinamerika-Spezialisten Mundo Latino.

Mehr Fotos gibt es in dieser Ansichtssache.

Grafik: DER STANDARD

Mit abgestellten Motoren gleitet unser Boot durch das Dunkel des abendlichen Urwaldes über das Wasser. Das Licht starker Handscheinwerfer tastet den Schilfgürtel am Rande des schmalen Wasserlaufs ab. Da, zwei rote Punkte leuchten auf. Mo, unser Bootsführer und Begleiter, fasst blitzschnell mit der Hand hinunter und zieht einen Kaiman herauf, ein junges Amazonaskrokodil. Regungslos verharrt es in Mos Händen, während er über Lebensweise und Vorkommen dieser Tiere erzählt. Wie alle Unterarten der Gattung lebten sie schon auf der Erde, bevor die Dinosaurier untergingen. Mo setzt das Urvieh wieder ins Wasser.

Abendliche Exkursionen zur Kaimanbeobachtung gehören zum spontan organisierten Programm vieler Amazonasreisen. Frühmorgens werden auch Touren zum Erwachen der Natur im Regenwald organisiert, dessen große Probleme wir erahnen, wenn wir Tag für Tag gewaltige Rauchwolken am Horizont sehen.

Die Faszination des größten Biotops der Erde lässt sich jedenfalls nur erleben, wenn man mit kleinen, wendigen Booten eindringt in das unendliche Gewirr von Wasserarmen und -straßen. Dieser Strom ist bekanntlich mehr als 6.500 Kilometer lang und durchfließt ein Gebiet, das 80-mal so groß ist wie Österreich.

Unser Standort, von dem aus wir nur einen winzigen Teil des Meeres aus Strömen und Wäldern, als das sich das Amazonasgebiet darstellt, durchstreifen, ist Manaus, die Millionenstadt im Regenwald. Die einzige Landverbindung zur Außenwelt führt über eine Piste nach Venezuela. Doch die ist im Grunde nur für Lkws befahrbar, deren Fahrer wiederum wegen ihrer Rücksichtslosigkeit berüchtigt sind. So bleibt nur der Weg durch die Luft in die Stadt, die aus einem portugiesischen Fort entstand und im 19. Jahrhundert durch die sogenannten Kautschukbarone eine wirtschaftliche Explosion erlebte. Damals gab es sogar Linienschiffverbindungen mit Liverpool.

Mit Madeira und Trompetas

Unzählige kleine Reedereien und Veranstalter bieten von hier aus Fahrten in die verschiedensten Regionen des Riesenstromes und seiner Nebenflüsse an. Mal sind es Tagestouren, zu denen wir unterwegs sind, mal können wir in winzigen Kabinen übernachten, wenn es in die Nebenflüsse hineingeht: in den Rio Madeira etwa, den Rio Trompetas oder den bei Manaus einmündenden größten Nebenfluss des Amazonas, den Rio Negro, aus dessen Wasser nur mehr selten rosafarbene Delfine springen.

Anders als bei den großen "Traumschiffen", die regelmäßig den Amazonas bis Manaus befahren und bei denen die Landausflüge penibel geplant sind, wird bei den Ausflügen mit den kleinen Lokalschiffen improvisiert. Das verleiht solchen Fahrten, mögen sie nur Tagesfahrten sein oder mehrere Tage dauern, einen Hauch von Expeditionen. Bequem sind sie nicht, erst recht nicht die Wanderungen durch den Urwald, bei denen unsere Begleiter, meist Indigene wie Mo, mühevoll den Weg mit der Machete freischlagen.

Dennoch ist kaum einer unter den Reisenden, der nicht ein nächstes Mal dabei sein will, auch wenn die Hosen zerrissen und die Arme von Moskitos zerstochen sind, so denn jemand so unvorsichtig war, mit nackten Armen zu gehen. Wir sehen Termitenstraßen, die die Tiere sorgsam gegen das für sie tödliche Tageslicht abschirmen, wir werden auf Blattschneiderameisen aufmerksam gemacht, die hochbeladen daherkommen, und auf die Nester der Webervögel, die hoch oben an langen, dünnen Baumzweigen in der Luft schaukeln.

Jedes Mal wenn ein Boot irgendwo in der Nähe einer kleinen Siedlung ankert, laufen erst die Kinder zusammen, dann die Erwachsenen mit den Kleinsten auf dem Arm. In der Regel bekommen die Menschen in den unzugänglichen Siedlungen nur die altersschwach aussehenden und immer überfüllten Linienboote, die in die entlegensten Verästelungen des Stromsystems hineinfahren, zu sehen. Diese Boote transportieren nicht nur Passagiere, sondern sie sind auch schwimmende Greißler. Die Bootsleute kaufen die von Dorfbewohnern gesammelten Früchte des Urwalds, und gleichzeitig verkaufen sie ihnen wieder das Nötigste zum Leben.

Bei jeder Fahrt auf einem der Zuflüsse des Amazonas oder durch dessen Lagunen begleitet uns das Geschrei der Brüllaffen, fliegen ganze Schwärme kreischender Papageien über uns. Zierliche Blatthühner und die bunten Rieseneisvögel huschen am Ufer entlang. Hier hocken Rabengeier, dort umflattern uns kopfgroße himmelblaue Schmetterlinge. Still ist es nicht am Strom.

Oft führt der Weg durch das Dickicht von Lianen und Luftwurzeln zu einsamen Siedlungen im Regenwald. Dann tauchen dort zwei oder drei Hütten auf, nur aus Boden und Dach bestehend, auf einer kleinen Lichtung, die die Bewohner dem Urwald abgerungen haben. Bananenstauden wachsen bei den Häusern und Kakaobäume. Manche blühen noch, andere fruchten schon. Es gibt Kaffeesträucher, Mangos, Papayas und Pfeffersträucher mit höllisch scharfen, grünen und roten Beeren.

Einmal werden wir in eine Schule eingeladen. Die Lehrerin im einzigen Klassenraum stellt ihren Schülern die Fremden vor, erzählt ihnen, aus welchen Ländern sie kommen und zeigt auf einer großen Landkarte, wo diese Länder liegen.

Die kleinen Wunden verheilen

Es sind immer nur kleine Stücke des Regenwaldes, die die Bewohner der Dörfer mit Feuer und Axt roden, um zwischen den stehengebliebenen Wurzelstöcken Bananen und Maniok, ihre wichtigste Kulturpflanze, anzubauen. Ein paar Jahre lang geht das so, dann ist der ohnehin nicht sehr fruchtbare Boden ausgelaugt, der Wald nimmt wieder Besitz davon, lässt die kleinen Wunden, die ihm geschlagen wurden, verheilen. Die Siedler roden das nächste Stück. Das ist jene Nutzung des Regenwaldes, die seit Jahrhunderten praktiziert wird, die Mensch und Natur in Einklang leben lässt. Sie hat nicht die katastrophalen Ausmaße und Folgen der großen Brandrodungen.

Als wir am Ende der Reise von Manaus aus wieder zum Heimflug abheben, dreht der Pilot ein paar Extrarunden mit der dafür eigentlich viel zu großen Maschine. Nur so können wir eines der beeindruckendsten Naturwunder des Regenwaldes sehen: die "Hochzeit der Gewässer".

Der hier fast 24 Kilometer breite, lehmgelbe Amazonas nimmt den nur acht Kilometer breiten Rio Negro mit seinem dunklen, klaren Wasser auf. Da die Wasser der beiden Ströme unterschiedliche Temperaturen und Fließgeschwindigkeiten haben, fließen sie deutlich getrennt nebeneinander: Im gleichen Bett zwar, aber in einer einmaligen Schwarz-Weiß-Malerei der Natur geht es dem noch fernen Atlantik entgegen. (Christoph Wendt, Rondo, DER STANDARD, 19.10.2012)