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Menschen mit schwerer körperlicher oder geistiger Behinderung brauchen oft eine Vollnarkose für eine Zahnbehandlung. Weil es kaum Ärzte dafür gibt, müssen sie in Wien monatelang warten.

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Wien - Als sich die Tochter von Familie Wichmann zu Jahresbeginn mehrmals an die Wange griff, mussten die Eltern annehmen, dass sie Zahnschmerzen hat. Sagen kann es Tina nicht - die 23-jährige Adoptivtochter ist geistig so stark beeinträchtigt, dass es kaum möglich ist, mit ihr zu kommunizieren.

Wegen einer komplexen Stoffwechselkrankheit wird sie seit Jahren im AKH behandelt. Dort fragten die Wichmanns, ob man sich auch dem Zahnproblem annehmen könnte. Da Tina nur unter Schwierigkeiten den Mund öffnet, kommt nur eine Vollnarkose für einen Eingriff infrage.

Doch in ganz Wien kann derzeit nur im Krankenhaus Hietzing eine Behandlung unter Vollnarkose an Patienten mit Behinderung durchgeführt werden. Die Anästhesierung ist weitaus komplexer als bei anderen Patienten. Aus Haftungsgründen darf die Jugendzahnklinik in Wien daher nur leicht sedieren.

Frühestmöglicher Termin nach fünf Monaten

Am 2. Mai hatten die Wichmanns in Hietzing eine erste Besprechung, bei der sie erfuhren, dass ihrer Tochter vermutlich zwei Weisheitszähne gezogen werden müssen. Der frühestmögliche Termin: 4. Oktober, also mehr als fünf Monate später. "Für die Zwischenzeit, wenn Schmerzen auftreten, wurde uns empfohlen, unserem Kind Antibiotika zu geben - über die gesamte Zeitspanne", schildert der Vater Gerd Wichmann.

Im Juli wandte er sich mit der Bitte, die beschränkten Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung zu verbessern und eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen, an das Büro von Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SP). Bis auf die Antwort, die zuständige Fachabteilung werde sich melden, kam seither keine weitere Information.

Der Fall liegt auch bei Patientenanwältin Sigrid Pilz (Grüne), die von Wichmann jedoch gebeten wurde, keine Extrabehandlung durchzuboxen: "Wir sind kein Einzelfall - es ist wichtig, dass die Möglichkeiten für alle Menschen mit Behinderung verbessert werden", sagt Wichmann.

Einziger Zahnarzt krank

Eine andere Familie mit wenig Deutschkenntnissen sei in Hietzing mit ihrem behinderten Kind nach Hause geschickt worden, weil ein Formular gefehlt hat, erzählt er. "Den nächsten Termin haben sie frühestens im Jänner 2013 - das kann doch nicht sein", wundert sich Wichmann.

Weil der einzige Zahnarzt in Hietzing, der Behinderte unter Vollnarkose behandeln kann, diese Woche krank ist, mussten alle Termine verschoben werden.

"Wir haben das Thema erkannt, es ist auf unserer Agenda", sagt ein Sprecher von Wehsely auf Anfrage. Ab dem kommenden Jahr soll auch im Krankenhaus SMZ Ost eine Behandlung an Patienten mit Behinderung unter Vollnarkose möglich sein. Ein Problem sei, dass keine niedergelassenen Ärzte das anbieten wollen. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 19.10.2012)