Seit nunmehr schon vier Jahren hält ein Krisen-Gespenst, in den unterschiedlichsten Ausformungen, Europa in Atem. Auf EU-Ebene wurden seither zwar etliche Anläufe unternommen, die Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Aber gerade in Krisenzeiten scheinen divergierende und oft kurzfristig angelegte nationale Interessenlagen den Blick auf gemeinsame europäische Lösungen zu verstellen. Konsequenz ist eine weitere Krise: jene des massiven Vertrauensverlusts der Menschen in die politischen Eliten. Wahrscheinlich waren die bisher eingesetzten Instrumente der Krisenbewältigung einfach zu komplex, die einzelnen Lösungsansätze zu unterschiedlich und deren Umsetzung zu unsicher. Zu vielen Worten folgten letztlich zu wenige Taten.

Sündenbock Euro

Ein Sündenbock für politische Pattstellungen war in der veröffentlichten Meinung trotzdem schnell ausgemacht: der Euro. Anscheinend eignet sich dieser im besonderen Maße als Blitzableiter für antieuropäische Gefühle. Gegenwärtig "bewährt" er sich in der medialen Darstellung wieder vortrefflich als Krisensymbol. Wen verwundert es also, dass auch die Zuneigung der Österreicher in den Euro in den vergangenen Jahren ebenfalls deutlich gesunken ist? Hatten im März 2010 noch 70 Prozent " (sehr) großes" Vertrauen in den Euro, so sind es laut aktueller ÖGfE-Umfrage nur noch 38 Prozent. Die Anzahl jener, die "eher kein" bis " gar kein" Vertrauen in den Euro haben, hat sich mit einem Anstieg von 29 auf 60 Prozent verdoppelt.

Aller Skepsis und Kritik zum Trotz ist der Euro aber mittlerweile tief in Österreich verankert. 76 Prozent der Österreicher sprechen sich dafür aus, diesen als Währung zu behalten. Nur 17 Prozent möchten zum Schilling zurückkehren. Immerhin 66 Prozent der Österreicher sind sich sicher, dass der Euro auch langfristig Bestand haben wird. Damit nicht genug: In den 10 Jahren des tagtäglichen Gebrauchs wurde der Euro, wie eine Eurobarometer-Umfrage von Juni 2012 ergibt, für 52 Prozent der Österreicher das Symbol einer europäischen Identität - noch vor Werten wie Demokratie und Freiheit, Kultur oder Geschichte.

Politische Realität erzeugt Misstrauen

Es ist also nicht unsere Währung, sondern vor allem die Art und Weise, wie nationale und europäische Akteure die Krisenbewältigung angehen und ihre Maßnahmen kommunizieren, die Unbehagen erzeugt. Die politische Realität kann mit den von ihr geweckten Erwartungen schlicht nicht mithalten und erzeugt damit Frust und Misstrauen. Folglich erhält die Zusammenarbeit der EU-Länder zur Krisenbekämpfung keine guten Noten: Gerade einmal 1 Prozent der Befragten werten sie als "sehr gut", 9 Prozent als "gut". 39 Prozent als "befriedigend", 29 Prozent als " genügend", für etwas mehr als ein Fünftel (22 Prozent) sind die Krisenkämpfer schlicht durchgefallen.

Unsicherheit und Unzufriedenheit werden durch Multiplikatoreffekte weiter verstärkt: Vielfach sind den Menschen die Abläufe und Wirkungsweisen der europäischen Entscheidungsprozesse nicht bewusst genug. Aktuelles Beispiel: In der medialen Wahrnehmung existiert der permanente Rettungsschirm seit langem, in Kraft trat er jedoch erst diese Woche. Entscheidungsabläufe der EU-27 sind komplex, die Mediengesellschaft, Märkte und ihre Akteure agieren aber in Echtzeit und sind damit vielfach rascher als die politischen Prozesse. Die Konsequenz: Die Menschen haben das Gefühl, dass politische Entscheidungen wirkungslos sind.

Die Politik hat somit massiven Nachholbedarf, will sie Vertrauen zurückgewinnen. Durch das Inkrafttreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der Entscheidung der Europäischen Zentralbank zum potenziellen Ankauf von Staatsanleihen gefährdeter Euroländer sowie eindeutige Signale hinsichtlich einer noch engeren Zusammenarbeit auf EU-Ebene, Stichwort Bankenunion, wurden klare Integrationsschritte gesetzt. Allerdings ist das Vertrauen der Menschen mit dem Dauerthema Krise schwer vorbelastet.

Eindeutige Ansagen über einen realistischen, europäischen Integrationskurs, effizientere Entscheidungsprozesse und eine konsequente Steuerung durch die noch anstehenden Herausforderungen sind deshalb notwendiger denn je. Die Zustimmung der Österreicher für gemeinsame europäische Strategien wäre in jedem Fall vorhanden: 62 Prozent sprechen sich für eine vertiefte Zusammenarbeit der EU-Länder aus, dagegen sehen lediglich 31 Prozent in einer losen Kooperation den Erfolgsweg für die unmittelbare Zukunft. (Paul Schmidt, DER STANDARD, 19.10.2012)