Seit Jahren beruht die serbische Staatspolitik auf dem Grundsatz Kosovo und Europäische Union. Die Mitgliedschaft in der EU sei eine Priorität Serbiens, hieß es, doch gleichzeitig werde man die Unabhängigkeit des Kosovo unter gar keinen Umständen anerkennen. Doch jetzt sieht sich Belgrad vor die Wahl Kosovo oder EU gestellt.

Für heftige Verwirrung sorgte das Dokument über die Erweiterungsstrategie der EU, das der serbischen Regierung vergangene Woche zusammen mit dem Jahresbericht der EU-Kommission überreicht wurde. Im Zusammenhang mit dem Problem der mehrheitlich im Nordkosovo lebenden Serben, die die Autorität der Regierung in Prishtina nicht anerkennen, steht dort, dass Serbien die "territoriale Integrität des Kosovo und die besonderen Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung" berücksichtigen müsse.

"Es wäre ehrlicher gewesen, wenn sie von uns gleich gefordert hätten, den Kosovo anzuerkennen", erklärte Premier Ivica Dacic. Vergebens beteuerte Erweiterungskommissar Stefan Füle, die Kommission wolle lediglich betonen, dass eine Teilung des Kosovo nicht infrage komme und die Formulierung statusneu tral sei.

Der Begriff "territoriale Integrität" werde normalerweise für unabhängige Staaten gebraucht, hieß es in Belgrad. Man forderte von der EU-Kommission, den Text umzuformulieren. Brüssel lehnte das entschieden ab. "Ich bestelle Brüssel, uns nicht vor das Dilemma Kosovo oder EU zu stellen", erklärte darauf Dacic. Dass Serbien die territoriale Integrität des Kosovo respektieren müsse, "kann und wird man nicht akzeptieren".

In Serbien, das seit Jahresbeginn EU-Kandidatenstatus hat, überwiegt die Meinung, dass der Beginn der Beitrittsverhandlungen an immer neue Bedingungen geknüpft wird. Unter anderem wird von Belgrad gefordert, serbische Parallelinstitutionen im Nordkosovo aufzulösen. Seit Jahren erfülle die EU "alle Wünsche der Kosovo-Albaner", erklärte Staatspräsident Tomislav Nikolic. So könne das nicht weitergehen. Sollte Serbien offiziell vor die Wahl EU oder Kosovo gestellt werden, würde es "auf den europäischen Weg verzichten".

Trotz dieser kämpferischen Töne hat die Regierung in Belgrad am Donnerstag die Wiederaufnahme des Ende Februar unterbrochenen Dialogs mit Prishtina beschlossen. Serbien setze den Weg in die EU fort, dies sei "weder einfach noch leicht", wurde Dacic von Belgrader Medien zitiert. (DER STANDARD, 19.10.2012)