Ein immer noch streitbarer Filmemacher, der sich - und seinem Publikum - zum 70. Geburtstag 70 Filmporträts aus "Rosas Welt" schenkt: Rosa von Praunheim.

Foto: Viennale

Wien - Am 25. November wird Rosa von Praunheim 70 Jahre alt. Wie kein anderer verkörpert er mit seinen häufig sehr persönlichen Filmen das schwule Berlin, die Freuden und Leiden einer freizügigen Großstadt. Zum feierlichen Anlass hat er nicht weniger als 70 Filme gedreht, die im zwanzigstündigen Paket unter dem Titel "Rosas Welt" veröffentlicht werden. Porträts von Freunden und Weggefährten, aber auch von streitbaren Figuren wie Thilo Sarrazin, den Rosa von Praunheim gern aus der Meinungsreserve gelockt hätte. Das Gespräch findet in Rosas Welt statt, einer Arbeitswohnung unweit des Kurfürstendamms.

Standard: Herr von Praunheim, "Rosas Welt" besteht aus 70 Porträts. Wie wurde man in diese illustre Reihe aufgenommen?

Praunheim: Die meisten Leute kenne ich persönlich, ein paar haben mich aus thematischen Gründen interessiert. Überwiegend sind das Projekte, die ich schon länger machen wollte, für die ich aber kein Geld kriegte. Nun konnte ich alle meine Wünsche erfüllen.

Standard: Im Film über Eva Mattes denkt man unwillkürlich, dass eine große "Familie" also auch so funktionieren kann wie in Ihrer Welt, nicht nur wie bei Fassbinder.

Praunheim: Ich habe Fassbinder nie gemocht. Er war ein Sadist. Ich glaube, heute könnte er nicht mehr so arbeiten, er würde sich einen Prozess nach dem anderen einhandeln. Vielfach war das doch sexuelle Nötigung. Er hat die Leute schrecklich behandelt.

Standard: Zum Zweck der Kunst?

Praunheim: Ich mag Leute, die sehr schöpferisch sind. Fassbinder mochte mehr Marionetten. Er hat choreografiert, er hat sehr genau im Kopf gehabt, was er machen wollte. Bei mir ist das anders: Ich hab gar nichts im Kopf, sondern alles nur im Bauch. Ich lasse mich anregen von der Persönlichkeit.

Standard: Einer der Filme in "Rosas Welt" gilt Werner Schroeter.

Praunheim: Wir hatten ja eine sehr zwiespältige Freundschaft. Anfangs haben wir gemeinsam Filme gemacht. Es war lebenslang eine liebevolle Konkurrenz. Obwohl wir sehr verschieden sind. Ich war eher politisch und hatte soziale Themen, er war ein großer Ästhet, was ich überhaupt nicht bin. Er hatte ein sehr erfülltes Leben, gerade in den letzten Jahren hat er trotz Schmerzen noch viel machen können. Er hat halt gesoffen, er war Alkoholiker und hat auch Drogen genommen, das ist dann natürlich der Preis, den man manchmal zahlt, wenn man so exzessiv lebt. Bei mir ist das anders. Ich habe eine Abscheu vor Drogen und Alkohol, ich habe auch zu viele Alkoholiker um mich herum. Sex ist das, was mich interessiert und auch immer noch wachhält. Das ist sozusagen meine Droge.

Standard: Sex im Alter hält auch viele andere Bewohner von "Rosas Welt" lebendig. Ein Mann von 83 Jahren ist dafür ein überzeugendes Beispiel.

Praunheim: Das ist sicher auch unserer Zeit zuzuschreiben, dass die Leute älter werden und gesünder bleiben, und dass sie sich auch mehr leisten können.

Standard: Die Kämpfe sind geschlagen und gewonnen?

Praunheim: Nicht für alle. Da ist die Situation in Osteuropa, wo die Kirchen den Homosexuellen das Leben schwer machen. Wir wissen auch nicht, ob nicht Romney am Ende die Wahl in den USA gewinnt, ganz zu schweigen von Afrika und Asien. Das ist immer der Kampf, Demokratie und Liberalität aufrechtzuerhalten.

Standard: Drei Filme in "Rosas Welt" widmen sich aktuellen politischen Debatten.

Praunheim: Thilo Sarrazin und der Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky, dazu kommt noch Seyran Ates, eine türkische Feministin, eine sehr kämpferische Frau, und diese drei bilden ein Spektrum von Ansichten zu Migration und Ausländerproblematik. Buschkowsky mag ich sehr, er ist ein offener und ehrlicher Mensch. Sarrazin hat eine interessante Debatte angestoßen, aber ich kritisiere ihn, weil er nicht konstruktiv ist.

Standard: In einem Beitrag wird Goethe "geoutet". Was hat es damit auf sich?

Praunheim: Mein Freund Robert Deam Tobin, ein Professor für Germanistik in den USA, hat ein Buch über "Warm Brothers" geschrieben. Es geht darin um Schwule in der deutschen Romantik. Das kann man sicher nicht mit der heutigen Homosexualität gleichsetzen, aber es gab damals eine sehr, sehr homoerotische Komponente. Schillers letztes, unvollendetes Drama "Die Malteser" ist ein Schwulendrama, und so gibt es bei vielen in der Romantik Sachen zu dem Thema zu entdecken.

Standard: Sie beschäftigen sich immer wieder mit Rumänien. Wie schätzen Sie die Lage der Sinti und Roma ein, zu denen auch viele der Stricher in Berlin gehören?

Praunheim: Das ist ein ganz besonderes Problem. Da, wo sie Lebensmöglichkeiten suchen, weil sie ungeheuer diskriminiert werden in ihren eigenen Ländern, da werden die Sinti und Roman auch oft gehasst und haben es sehr schwer. Wir kennen ja nur diese drei Optionen: dass sie Musik machen, dass sie klauen oder auf den Strich gehen. Das ist ungeheuer traurig.

Standard: Wenn wir ein Sinti- oder Roma-Kind betteln sehen, was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?

Praunheim: Sicher nicht Geld geben, aber stattdessen etwas tun. Es gibt ja Vereinigungen von Sinti und Roma, wir sollten versuchen, zu Möglichkeiten beitragen, dass diese Kinder eine Schulbildung bekommen. Bevor wir uns abwenden, sollten wir uns zuerst einmal bewusst machen, aus welch schlimmen Verhältnissen diese Kinder kommen.          (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 19.10.2012)