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"Echtes" Kaschmirtuch auf einem Straßenmarkt in Srinagar kommt häufig aus China.

Foto: EPA/ALTAF QADRI

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Auf die Spitze getrieben wird die chinesische Kopierleidenschaft am Dal-See allerdings nicht: Die Szenerie erinnert nur entfernt an älplerische Panoramen à la Hallstatt.

Foto: EPA/FAROOQ KHAN

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Zu exotisch sind hier die Hausboote.

Foto: AP Photo /Rafiq Maqbool

Anreise & Unterkunft
Windrose Finest Travel bietet ein Kombi-Paket Kaschmir (Srinagar, Gulmarg, Pahalgam) plus "Goldenes Dreieck" (Delhi, Agra, Jaipur). Flug nach Delhi mit Qatar Airways - ein Stopover in Doha, danach mit Indigo nach Srinagar. Das Hotel Vivanta
gehört zur Taj-Gruppe (tajhotels.com).

Grafik: DER STANDARD

Exakt 378 Jahre hat Nishat Bagh, der Garten des Glücks, auf dem Buckel. Nein, Buckel ist nicht das richtige Wort, einen Buckel hat der Nishat Bagh nicht, aber Terrassen hat er, viele Terrassen, mit Zypressen und Blumen in allen Farben, rot, rosa, gelb, himmelblau bepflanzte Terrassen, die wie eine gigantische Treppe vom Dal-See in Srinagar zum Himalaya hinaufstreben. Eine Treppe zum Himmel, wenn man die pathetische Wortwahl nicht scheut. Led Zeppelin hatten es ja damals in den 1970er-Jahren mit Kashmir. Gibt's eine geheime Spur von hier zu ihrem Stairway to Heaven? Wir wissen es nicht.

Fakt ist jedenfalls: 1634, gleich nachdem Mogulkönig Shah Jenan zum Herrscher von Indien geworden war, hatte sein Schwiegervater Mirza Abdul Hassan (Asaf Jah), der jüngere Bruder der Königin Nur Jehan, das in perfekter Harmonie zwischen Berg und See gelegene, zwanzig Hektar große Areal errichten lassen. Nishat Bagh steigt symmetrisch entlang breiter Wasserbassins mit Springbrunnen dem theatralischen Hintergrund des Zabarwan-Gebirges entgegen. Den eigentümlich schwebenden Effekt teilt die Anlage mit dem Zenit der Baukunst der indoislamischen Mogulherrscher, dem Taj Mahal in Agra. Von den anfänglich zwölf mit den Tierkreiszeichen korrespondierenden Terrassen hat die unterste einer Uferstraße Platz gemacht, auf der die Touristen von der nahegelegenen 1,2-Millionen-Stadt Srinagar herbeitransportiert werden.

Mogulgärten wie der Nishat Bagh oder der Shalimar Bagh sind es, denen Kaschmir seinen magischen Namen und seinen Ruf als "Paradies auf Erden" mit verdankt. Und ein Paradies auf Erden wäre Kaschmir wohl auch, wäre nicht, wie so häufig, die Politik im Spiel. Notorischer Zankapfel zwischen Indien und Pakistan, wird die nordwestliche indische Provinz auch von Spannungen zwischen der muslimischen Bevölkerung und der Zentralmacht in Delhi geplagt, das Militär ist in Srinagar omnipräsent. Aber natürlich sind die anerkannt geschäftstüchtigen Kaschmiris in erster Linie an Handel, Wandel und Tourismus interessiert. Kaschmir zeigt sich offen, buhlt nicht nur um indische Binnentouristen aus der wachsenden Mittelklasse des Landes, sondern auch um internationales Publikum.

Von der opulent mit Blumenrabatten ornamentierten Anhöhe des Hotel Vivanta aus weitet sich der Blick über eine Szenerie, die das Paradiesklischee anmutig bedient. Auf den Besucher aus Zentraleuropa wirkt das quasialpine Szenario mit seiner 360-Grad-Bergkulisse wie eine surrealistisch verfremdete Alpenlandschaft: Ähnlich und zugleich auch ganz anders. Zu Füßen des Betrachters liegt das in alle Himmelsrichtungen zerfließende Stadtbild von Srinagar mit dem riesigen Dal-See, der durch schwimmende Gärten in eine schwer zu überschauende Anzahl von Sub- und Nebenseen zerteilt wird.

Zwischen dem Häusergewirr der Altstadt und dem Jhelum-Fluss befindet sich die gänzlich aus Holz gebaute, populäre Shah-Hamdam-Moschee, die ein Haar des Propheten als Reliquie enthalten soll. Der in schönen dunkelgrünen Tönen gehaltene Bau - Nichtmuslime dürfen ihn nicht betreten - wirkt fast intim im Vergleich zur riesigen Jama Masjid, der größten Moschee in Jammu-Kaschmir, die angeblich bis zu 33.333 Gläubige fassen kann. In der Altstadt hatten wir Gelegenheit, zuzusehen, wie die berühmten Paschminaschals hergestellt werden: eine exorbitant aufwändige Prozedur, die mehr als ein Dutzend teils sehr diffizile Fertigungsschritte erfordert. Beim Zusehen begreift man schnell, warum für die farbenprächtig-federleichten Halsschmeichler absolute Toppreise verlangt werden.

Eine lokale Attraktion sind die aus einem speziell wasserresistenten Zedernholz gebauten hellbraunen Hausboote, die in Massen am Seeufer ankern. Auf die Idee, Hausboote auf dem Dal einzurichten, waren die Briten gekommen, nachdem ihnen ein Maharadscha den Landerwerb in Kaschmir untersagt hatte. Heute tragen die breitbrüstig-behäbigen Schiffe klingende Namen mit global verbürgten Wiedererkennungswerten: Mona Lisa, Manhattan, Moulin Rouge und Ähnliches mehr. Viele haben mit dick aufgetragenem orientalischem Prunk - Teppiche, Luster, Holzschnitzereien - ausstaffierte Empfangsräume, Kabinen für Gäste, die hier übernachten wollen, sowie ein Oberdeck, von dem aus sich in quasikolonialistischer Pose die pittoresken Lichteffekte bewundern lassen, die Sonnenauf- und Sonnenuntergänge auf den See und die das Ufer überwuchernden Lotuspflanzen zaubern.

Befahren kann man den Dal-See mit gelben Wassertaxis, mit denen man abwechselnd über weite, spiegelglatte Wasseroberflächen und durch den unübersichtlichen Wirrwarr der Kanäle gleitet und von entgegenkommenden Händlern Waren aller Art feilgeboten bekommt. Venedig-Assoziationen drängen sich auf, und doch wieder auch nicht, weil die Gegenwart der rundum laufenden Gebirgsketten ständig den Umstand im Bewusstsein hält, dass man hier keineswegs auf der Höhe des Meeresspiegels, sondern 1700 Meter darüber unterwegs ist.

Falls dem Besucher die Luft hier noch nicht dünn genug sein sollte, kann er in Kaschmir problemlos in eindrucksvollere Höhen aufsteigen. Fünfzig Kilometer westlich von Srinagar und gut 1000 Meter höher liegt die "Schweiz Indiens", das landschaftlich beeindruckende Himalaya-Skigebiet Gulmarg, wo es neben ein paar Restaurants, Hotels, Berghütten und einem Golfplatz auch die 2005 fertiggestellte Gulmarg Gondola gibt. Die Seilbahnfahrt führt in zwei Etappen zur 3980 Meter hoch gelegenen Bergstation auf den Mount Apharwat. Konditionsstarke Ausflügler können sich mit einem knappen Aufstieg durch die 4000er-Marke hindurchhecheln. Das Wort "atemberaubend" ist auf dieser Höhe flugs bei der Hand, nicht nur wegen der dünnen Luft und der pochenden Schläfenadern, sondern wegen der Aussicht auf das riesige Gulmarg-Tal und den Nanga Parbat, der vis-à-vis hinter den Wolken als silberne Silhouette auftaucht. Atemberaubend, ja paradiesisch. (Christoph Winder, Rondo, DER STANDARD, 19.10.2012)