Ihr Vertrag als Vorstandsvorsitzender der Tiwag wurde im Sommer dieses Jahres bis Ende 2015 verlängert. Ist die Arbeit in der E-Wirtschaft so schön, dass Sie erst mit 67 in Pension gehen wollen?
Bruno Wallnöfer: In dem schwierigen Umfeld der E-Wirtschaft und auch der Tiwag ist es wichtig, dass wir in der Unternehmensführung Verjüngung und Erweiterung mit strategischer Kontinuität verbinden. Und für Letztere stehe ich. Die Tiwag nähert sich beim Wasserkraftausbau nach einer langen und schwierigen Vorbereitungsphase jetzt der Zeit der Ernte, und diese Ernte möchte ich noch ein Stück einbringen helfen.
Sie haben im Juli das Projekt der Erweiterung des Kaunertal-K raftwerkes zu einer Kraftwerksgruppe bei der UVP-Behörde eingereicht – mit einem Volumen von 1,1 Mrd. Euro die bisher größte Investition der Tiwag. Schon im Dezember 2009 wurde der Ausbau Sellrain-Silz-Kühtai eingereicht. Wie lange wird das dauern?
Bruno Wallnöfer: Es ist eine bedauerliche Wahrheit, dass die UVP-Verfahren in Österreich inhaltlich und zeitlich eine nahezu unerträgliche Komplexität erreicht haben. Allein die Vorbereitungszeit und insbesondere die Variantenprüfung für das Einreichoperat Kaunertal haben sieben Jahre erfordert. Wir rechnen in der Folge mit fünf Jahren Verfahrensdauer über zwei Instanzen. So etwas müssen sich eine Gesellschaft und ein Wirtschaftssystem erst einmal leisten können.
Wer ist dafür verantwortlich, dass Projekte nur so langsam weiterkommen?
Bruno Wallnöfer: Die Verantwortung dafür liegt eindeutig beim Gesetzgeber, also bei der Politik und nicht bei den Verwaltungsbehörden, die sich ohnehin enorm anstrengen müssen, um ihren Aufgaben einigermaßen gerecht werden zu können.
Die Tiwag plant Wasserkraftinvestitionen von deutlich über zwei Mrd. Euro. Welche Strategie steht hinter diesem Konzept?
Bruno Wallnöfer: Die Strategie der Tiwag ist es, einen Beitrag sowohl zur europäischen Energiewende als auch zur Stromautonomie Tirols und Österreichs zu leisten. Den Beitrag zur europäischen Energiewende sehen wir im Ausbau unserer Speicher und Pumpspeicher. Sie sind unverzichtbar zur Glättung der starken Schwankungen der Stromerzeugungsbeiträge aus neuen erneuerbaren Energien und ermöglichen erst die Integration von Wind- und Sonnenkraft in das Gesamtsystem.
Kritiker sagen schon jetzt, dass ein Speicherausbau in den Alpen niemals ausreichen kann, um den europäischen Bedarf für Speicherung zu decken und man deshalb neue Wege gehen müsse.
Bruno Wallnöfer: Wir wollen im europäischen Rahmen das beitragen, was unsere Ressourcen bieten. Andere, die über Windstandorte verfügen oder mehr Sonneneinstrahlung haben, sollen ihre speziellen Ressourcen einbringen. Die Aussage, dass unsere Speicher allein für Europa nicht ausreichen, ist formal zutreffend, aber irrelevant. Der Ausbau der Speicher ist die wesentlichste industriepolitische Wachstumsperspektive, über die wir in Tirol verfügen.
Wie hängen die Speicher mit der Stromautonomie des Landes zusammen?
Bruno Wallnöfer: Wir wollen einen möglichst großen Teil des Stroms, den wir in Tirol verbrauchen, auch im Land selbst erzeugen. Das scheint mir sehr vernünftig, ja geradezu zwingend und zudem ethisch geboten. Wir wollen ja keine Trittbrettfahrer sein, die von den Ressourcen Dritter leben. Stromautonomie bedeutet aus unserer Sicht, dass wir im Jahresschnitt unter Einbeziehung der auch in Zukunft unverzichtbaren Stromtausch- und Handelsaktivitäten einen ausgeglichenen Saldo zwischen Erzeugung und Verbrauch aufweisen. Und die Speicherkapazität stärkt unsere Position im europäischen Strombinnenmarkt.
Und wie wollen Sie das insgesamt bewerkstelligen?
Bruno Wallnöfer: Für diese Autonomie benötigen wir den Zubau von 2000 GWh Erzeugung bis zum Jahr 2030. Das entspricht 100 GWh pro Jahr, und dafür haben wir ein konkretes Konzept mit den Speicherprojekten, mit Ausleitungs-Laufkraftwerken und diversen kleineren Vorhaben. Diesen Projektmix halten wir auch in Anbetracht der schwierigen rechtlichen Rahmenbedingungen und unter Einbeziehung des Tiroler Kriterienkatalogs für realisierbar.
Was hat Tirol konkret davon, wenn Sie diese Anlagen bauen?
Bruno Wallnöfer: Wasserkraft ist noch immer die zuverlässigste, vielseitigste und kostengünstigste Stromerzeugungsform unter den erneuerbaren Energien. Sie bietet auch den mit Abstand höchsten Wirkungsgrad, wenn man die Energieumwandlung betrachtet. Der Wasserkraftausbau bedeutet für Tirol somit Versorgungssicherheit, Selbstbestimmung und in weiterer Folge Stromautonomie, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Chance auf weitere industrielle Entwicklung im Land. Wir können damit stabile Strompreise bieten und Beiträge zum Klimaschutz leisten. Ich bin fest überzeugt: Unsere vom Klimawandel bedrohten Gletscher freuen sich am meisten über den Wasserkraftausbau, weil sie damit auf Entlastung hoffen dürfen.
Was sagen Sie jenen, die gegen diesen Ausbau sind?
Bruno Wallnöfer: Es ist im gesellschaftspolitischen Diskurs eminent wichtig, klarzustellen, dass der Ausbau der Wasserkraft einen hohen wirtschaftlichen Nutzen für alle bringt – und das bei vergleichsweise begrenzten ökologischen Eingriffen, wenn alles richtig gemacht wird. Das gilt insbesondere für Tirol, wo die besonders strengen österreichischen Umweltgesetze mit einer besonders strengen UVP-Behörde zusammenwirken.
Das heißt?
Bruno Wallnöfer: Das heißt, dass in Tirol nur umweltverträgliche Wasserkraftwerke auch eine Chance auf Bewilligung haben. Deshalb braucht wirklich niemand Angst vor unseren Projekten zu haben, und dafür strengen wir uns auch besonders an.
Wie stehen Sie zu einem Dialog mit NGO und anderen Stakeholdern über die Kraftwerksprojekte?
Bruno Wallnöfer: Wir begrüßen und führen einen derartigen Dialog als vertrauensbildende Maßnahme. In diesem Rahmen sollte man einen mehr oder weniger abschließenden Katalog für große und mittelfristige Wasserkraftprojekte in Tirol diskutieren. Am Ende könnten wir dann sagen: Das ist es, und mehr kommt nicht mehr.
Sie haben das Projekt Kaunertal als „ausgewogene Gesamtlösung“ bezeichnet. Was verstehen Sie darunter?
Bruno Wallnöfer: Bedenken Sie nur die lange Zeit, die wir bereits an unseren Projekten arbeiten. Wer nicht ernsthaft an der besten ökologischen Lösung interessiert ist, der arbeitet auch nicht so sorgfältig daran. Ich kann sagen, das hat sich gelohnt. Unseren Weg zum Einreichprojekt können wir auch anschaulich dokumentieren. Wir sind im Verlauf der Planungen von einer vergleichsweise traditionellen und konservativen Lösung über viele Zwischenschritte zu einer ökologisch innovativen und besonders verantwortungsbewussten Gesamtlösung gekommen. Denn auch das Bewusstsein der Menschen hat sich geändert.
Woran lässt sich dieses Verantwortungsbewusstsein festmachen?
Bruno Wallnöfer: Ausgewogene Lösung heißt im Anlassfall, dass die Wasserkraftnutzung und die Anlagenstandorte über drei Täler verteilt sind: Ötztal, Kaunertal und Platzertal. In allen drei Tälern werden zudem konkrete regionale Nutzenwirkungen umgesetzt. Konkret sind das zum Beispiel ein verbesserter Hochwasserschutz für das Ötztal, eine wintersichere Erschließung des Kaunertals und Entwicklungsimpulse für das Platzertal durch Infrastrukturverbesserungen.
Sie sind seit vielen Jahren Spitzenfunktionär von Oesterreichs Energie. Was braucht die E-Wirtschaft, um die großen Aufgaben der Zukunft meistern zu können?
Bruno Wallnöfer: Die E-Wirtschaft ist eine Schlüsselindustrie der modernen Gesellschaft. Sie ist aufgrund der langfristigen Ausrichtung ihrer Tätigkeit und der hohen Kapitalintensität der Investitionen auf stabile Rahmenbedingungen angewiesen. Damit wir unsere Möglichkeiten im Interesse der Bürger ausschöpfen können, brauchen wir Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Sicherheit bezüglich der Finanzierungsbedingungen.
Wie ist es darum bestellt?
Bruno Wallnöfer: Ich sehe auf europäischer Ebene durchaus solide Rahmenbedingungen. Die EU verlangt nämlich – und das ist hoch vernünftig – dass jeder Mitgliedstaat je nach seinen konkreten Standortbedingungen seinen Beitrag zur Energiezukunft und zur europäischen Stromerzeugung leistet. Diese Beiträge werden dann auf europäischer Ebene zu einem Optimum zusammengeführt. Das heißt: Windkraft an den günstigen Windstandorten, Wasserkraft und Speicher in den Bergen und Sonnenenergie im Süden. Das ist zusammen mit den Effizienzbestrebungen das Gerüst für die Transformation des Energiesystems und das ist gut für Europa und insbesondere auch für das Wasserkraftunternehmen Tiwag.
Was sind aus Ihrer Sicht mögliche und sinnvolle Wege in die Energiezukunft, insbesondere für Tirol, aber auch für Österreich?
Bruno Wallnöfer: Ich sehe hier fünf zentrale Bausteine, bei denen es um ein gemeinsames Ziel geht: den Umbau des energiewirtschaftlichen Systems – und nicht seine voreilige Zerstörung. Das ist erstens die Anhebung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und CO2-armen Technologien. Zweitens geht es um die Stärkung der Beiträge der jeweiligen Standorte. Drittens brauchen wir eine bessere Koordination auf europäischer Ebene, also mehr Europa und mehr Binnenmarkt, und nicht weniger. Dabei darf man in dieses System auch nicht durch eine dilettantische Re-Regulierung hineinpfuschen. Viertens müssen Ersatzstrukturen für den beschleunigten Atomausstieg geschaffen und fünftens die effiziente Energieverwendung stärker gefördert werden.
Kommen wir nach den Investitionen in die Erzeugung zum Thema Netz. Die Tiwag hat sich hier im Bereich Übertragungsnetze mit der APG zusammengeschlossen. Was ist der Grund?
Bruno Wallnöfer: Das Stromwirtschaftssystem Tirols ist traditionell mit Süddeutschland verbunden, und in diesem Rahmen erfolgt seit Jahrzehnten ein sinnvoller und für Tirol letztendlich unverzichtbarer Austausch von Spitzenstrom gegen Grundlast. Tirol als reines Wasserkraftland wird immer eine Grundlastlücke haben, das liegt einfach im System. Wir sind daher sehr interessiert an einer Stärkung der regionalen Netzmärkte, insbesondere des Teilmarkts „Central West“, in dem wir uns befinden. Wir unterstützen daher auch eine Verstärkung der grenzüberschreitenden Netzverbindungen nach Süddeutschland.
Wo liegt hier der Zusammenhang mit der APG?
Bruno Wallnöfer: Wir sind inzwischen weit weggekommen vom Kirchturm-Denken. Daher haben wir auch die Regelzone Tirol in eine Kooperation mit der APG eingebracht. Davon profitieren beide, denn das bringt mehr Sicherheit, mehr Kosteneffizienz und eine Bündelung der Kräfte.
Was muss in Tirol im Bereich der Übertragungsnetze geschehen?
Bruno Wallnöfer: Das ergibt sich logisch aus der Energiewende. Damit die Energiewende ein Erfolg werden kann, brauchen wir stärkere Netze und mehr Speicher.
Welche Entwicklungen wird es bei den anderen Netzebenen geben?
Bruno Wallnöfer: Aufgrund der alpinen Topografie haben wir in Tirol sehr anspruchsvolle Netzstrukturen, denn die Alpentäler können nur strahlenförmig erschlossen werden. Zur Verstärkung und Modernisierung des Verteilnetzes investieren wir seit Jahren rund 50 Mio. Euro jährlich. Das werden wir auf Dauer nur weiterführen können, wenn es angemessene Netztarife gibt.
Wie verträgt sich das Aufgabenspektrum der E-Wirtschaft der Zukunft mit der aktuellen Regulierung?
Bruno Wallnöfer: Wir haben in Europa den freien Strommarkt eingeführt. Eine Vorbedingung dafür ist, dass das Netz für jeden Anbieter zugänglich ist. Das war wiederum der Grund für die Abtrennung der Netzgesellschaften von den ehemals integrierten Elektrizitätsversorgungsunternehmen. Jetzt sind die Netze verselbständigt und als regulierter Geschäftsbereich unter dem Einfluss der Regulierungsbehörde. Die E-Control sollte nicht nur auf möglichst niedrige Netztarife hinarbeiten, wie sie das bisher getan hat, sondern auch Investitionen ins Netz belohnen und Kapital für den Netzausbau anlocken. Das geht aber nicht ohne eine angemessene Rendite. Insbesondere die neuen intelligenten Netze wird es nicht zum Nulltarif geben.
Was müsste bei der Regulierung geschehen – immerhin wird gerade wieder verhandelt, und Sie gelten als einer der ausgewiesenen Experten in diesem Bereich?
Bruno Wallnöfer: Das derzeitige System kann die Ziele der Energiewende nicht erreichen, ehe die Netze nicht quantitativ und qualitativ aufgerüstet sein werden. Das kostet viel Geld, das von allen Stromkunden zu bezahlen sein wird. Wer etwas anderes sagt, der täuscht die Menschen, denn eine Energiewende zum Nulltarif gibt es nicht. Die Energiezukunft sollte uns etwas wert sein, und meiner Meinung nach wird sich die Europäische Union das auch leisten können.
Worauf wird es bei der künftigen Energiepolitik ankommen?
Bruno Wallnöfer: Der Ausbau der Netze benötigt eine intelligente und weitblickende Regulierung. Der Strommarkt braucht Luft zum Atmen und nicht eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt.
Was meinen Sie damit? Steht die Liberalisierung auf der Kippe?
Bruno Wallnöfer: Ich meine damit die ständigen Versuche, den freien Strommarkt bei Energie und Vertrieb, den man mit großen Erwartungen eingeführt hat, durch eine Re-Regulierung und eine Vielzahl unsachlicher planwirtschaftlicher Eingriffe wieder zu zerstören. Die Liberalisierung ist tatsächlich in Gefahr, und wir stehen schon nahe am Abgrund.
Innsbruck ist am 17. und 18. Oktober der Veranstaltungsort für „Oesterreichs Energie Kongress“. Was erwarten Sie sich von diesem?
Bruno Wallnöfer: Tirol ist sicher ein guter Standort für den Kongress 2012. Wir befinden uns hier im Herzen des Alpenraums, der eine wichtige Rolle für die Stromversorgung der Zukunft einnehmen wird. Tirol hat durch die Brennerachse historisch schon immer eine Brückenfunktion zwischen Norden und Süden ausgeübt und kann dies auch in Zukunft wieder tun. Unser Land ist zudem ein gutes Beispiel für unser großes Zukunftsthema, nämlich die Etablierung einer nachhaltigen Energiewirtschaft in Mitteleuropa und im europäischen Alpenraum. Als starke Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft werden wir in Innsbruck unser Zukunftsbild der Energiewende und des dafür notwendigen Systemumbaus präsentieren. Als eine starke Schlüsselindustrie in Österreich werden wir auch beweisen, dass wir innovativ und leistungsstark sind und ein schlüssiges Konzept sowie hohe Investitionskraft haben. In Innsbruck werden wir zeigen, dass wir (fast) alles können – wenn man uns nur lässt.