2011 hat Fukushima die Welt und die Energiezukunft verändert. Von den Schreckensszenarien nach dem deutschen Atomausstieg ist aber nichts eingetreten – warum?
Leo Windtner: Der Atomausstieg Deutschlands macht sich natürlich bemerkbar, wenngleich wir die Folgen erst in den kommenden Jahren, also mittel- und langfristig zu spüren bekommen. Es wird zu einer nachhaltigen Veränderung der Kraftwerkslandschaft in Europa kommen. Der Trend geht aber schon jetzt eindeutig in die Richtung, die erneuerbare Energie aus Wasser, Wind und Sonne verstärkt zu nutzen. Allerdings fehlt es am Leitungsnetz, dass die Energie dorthin transportiert werden kann, wo sie gebraucht wird. Es kann nicht sein, dass wir innerhalb eines Jahres einen Windpark bauen können, aber die Genehmigung von Leitungen ein Vielfaches länger dauert.
Wenn von erneuerbarer Energie gesprochen wird, denkt jeder an Wind- und Sonnenenergie - wo bleibt die Wasserkraft?
Leo Windtner: Fakt ist, dass die Wasserkraft über Jahrzehnte hinweg der Champion der erneuerbaren Energien war und das auf absehbare Zeit auch bleiben wird. Und die Wasserkraft wird nicht nur in der Erzeugung wichtig bleiben, Wasserkraft spielt vor allem im System der neuen regenerativen Energien eine zentrale Rolle im Bereich der Energiespeicherung. Pumpspeicherkraftwerke sind die derzeit effizienteste, beste und umweltfreundlichste Möglichkeit, Strom zu speichern. Es muss uns klar sein, dass wir in Österreich diese Chance nutzen müssen, wenn wir im europäischen Energieverbund eine Rolle spielen wollen. Allerdings muss uns klar sein – und ich wiederhole mich hier – ohne leistungsfähige Übertragungsnetze laufen wir Gefahr auf den grünen Batterien zu verglühen.
Das heißt, dass es in Österreich in nächster Zeit zu einem Boom im Kraftwerks- und Leitungsbau kommen sollte …
Leo Windtner: Angesichts des Atomausstiegs und der politischen Bekenntnisse zur Energiewende müsste das so sein. Tatsache ist aber, dass sich Aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen der Neubau von Kraftwerken derzeit aber wirtschaftlich schwer darstellen lässt. Auch wenn ich überzeugt bin, dass sich diese Rahmenbedingungen sehr bald wieder ändern werden. Nichtsdestotrotz werden wir die begonnen Projekte weiter vorantreiben: Die Laufwasserkraftwerke Stadl-Paura und Kleinarl befinden sich bereits in Bau und werden 2013 in Betrieb gehen, Bad Goisern ist genehmigt, die Investitionsentscheidung aber noch nicht gefällt. Ebenfalls begonnen wird im Herbst mit der Umweltverträglichkeitsprüfung für das Pumpspeicherkraftwerk Ebensee.
Ist eine vollständige Versorgung Österreichs mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen möglich?
Leo Windtner: Nein, das ist für die nächsten Jahrzehnte noch nicht denkbar. Die erneuerbaren Energien werden zwar auf jeden Fall an Bedeutung gewinnen, Österreich wäre aber auch in Zukunft gut beraten, auf den regenerativ-thermo-hydraulischen Verbund zu setzen – dieser Versorgungsmix aus Wasserkraft, der Energie aus hocheffizienten thermischen Kraftwerken und eben den neuen regenerativen Energien sorgt für höchstmögliche Sicherheit bei der Energieversorgung, auf die Österreich zurecht stolz sein kann.
Welche Ausbauchancen sehen Sie bei den Erneuerbaren noch, vor allem im Bereich der Fotovoltaik, der Windkraft und der Geothermie?
Leo Windtner: Das größte Potenzial sehe ich persönlich – neben der Nutzung der Wasserkraft – im Bereich der Windenergie. Die Zustimmung der Österreicher zur Wasserkraft ist so stark wie seit vielen Jahren nicht mehr. Wir kommen dort, wo es wirtschaftlich und ökologisch vertretbar ist, am Ausbau der Wasserkraft nicht vorbei. Es gibt aber auch noch Raum für Effizienzsteigerungen bei vielen bestehenden Wasserkraftwerken. Enormes Potenzial sehe ich durch die Nutzung neuer Technologien auch für die Windkraft. Die Fotovoltaik hat vor allem bei der dezentralen Stromerzeugung zum Eigenverbrauch ihre Berechtigung, Großkraftwerke werden hierzulande meiner Meinung nach aber eher die Ausnahme bleiben! Eine wesentlich bedeutendere Rolle wird in Zukunft der Nutzung der Geothermie zukommen. In Oberösterreich sind wir in der glücklichen Lage, dass gleich in mehreren Regionen die geologischen Voraussetzungen passen – Voraussetzung ist aber auch, dass die entsprechenden Abnehmer vorhanden sind. Wir werden dieses Thema weiter forcieren und alle Möglichkeiten genau prüfen. Wir gehören hier in Österreich zu den Frontrunnern und zu den Unternehmen mit der meisten Erfahrung: In Braunau-Simbach versorgen wir die beiden Städte seit mehr als zehn Jahren mit sauberer Wärme aus dem Erdinneren. In Ried setzen wir derzeit mit lokalen Partnern das größte Geothermieprojekt Österreichs um. Und wir bringen unser Know-how aus der Praxis auch in ein Forschungsprojekt ein, ob und wie – kurzfristig bis 2020, aber auch langfristig – das Potenzial der Tiefengeothermie genutzt werden kann. Das Ergebnis soll den möglichen Beitrag zur angestrebten Vollversorgung Österreichs zutage bringen.