
"Einer für alle!" schrieb ein Soldat auf dieses Foto, das in Russland entstand. Das Bild zeigt den Moment, als ein junger Mann erfährt, dass er als Geisel erschossen werden soll.
Graz - "So sieht es im blöden Russland aus", schrieb ein Wehrmachtssoldat in den 1940er-Jahren auf die Rückseite einer Fotografie. Daneben sind die Namen der Kameraden notiert, die Abzüge des Fotos haben wollten. Es ist eines von vielen hunderten, die seit Freitag in der Schau Fremde im Visier in der Multimedialen Sammlung des Universalmuseums Joanneum zu sehen sind.
Die privaten Bilder, die Wehrmachtsangehörige an der Front machten, sind höchst unterschiedlich: Landschaften aus besetzen Ländern wie Norwegen oder Frankreich, die wie Urlaubsfotos anmuten, oder Farbdias, die zeitlich ganz nah scheinen, würde nicht dort und da eine rote Hakenkreuz-Armbinde aufblitzen. Aber in einem der drei Räume gibt es auch brutale Aufnahmen von Hinrichtungen oder Verwüstungen von Synagogen in Osteuropa, auf denen Soldaten stolz posieren.
Die NS-Soldaten fotografierten besonders viel, "viel mehr als etwa die Armeen der Alliierten", erzählt die Hamburger Kuratorin Petra Bopp, die in Graz von der Historikerin Petra Scheibenlechner unterstützt wurde, "denn sie sollten damit die NS-Ideologie verbreiten."
Beweismaterial
Ab 1941 wurde es den Wehrmachtssoldaten verboten, Hinrichtungen oder Massenerschießungen zu fotografieren. Wie zahlreiche schockierende Bilder der Ausstellung zeigen, hielten sich viele nicht an dieses Verbot. So schufen sie Beweismaterial etwa für die Verbrechen in Polen.
Bevor die Ausstellung nach Graz und damit erstmals nach Österreich kam, wurde sie bereits in vielen Städten Deutschlands und in den Niederlanden gezeigt. Das Joanneum ermutigte zuvor Steirer, die eigenen Familienalben zu bringen. 88 Alben, 908 lose Fotos und 345 Dias langten ein. Teile davon werden in drei Extravitrinen der Ausstellung gezeigt.
Kuratorin Bopp bekam besonders viel Resonanz aus der dritten Generation, also jener der Enkel. Während die Kinder der Nazis von "versteckten Alben des Großvaters, die er heimlich ansah", oft gar nichts wissen wollten, seien die Enkel interessiert an einer Aufarbeitung. Auch ein paar alte Kameras sind zu sehen. Ein Exponat, das ein Grazer brachte, ist die durch einen Einschuss zerstörte Leica seines Großvaters. Die Kamera rette dem Mann, der sie umgehängt hatte, das Leben. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 20./21.10.2012)