Polemik ist eine literarische Form der Auseinandersetzung, mit aller Schärfe geführt, apodiktisch, den persönlichen Angriff nicht scheuend. Polemik hat ihren Auftritt, wenn sachliche Diskussion nichts mehr erhellt, weil Dimensionen des Absurden erreicht sind, die konstruktive Argumentation verhindern. Sarkasmus und Spott sind erlaubt, verleihen herzhafter Polemik Unterhaltungswert, soweit man nicht Betroffener ist. Paradox: Ungerechtigkeit führt zu mehr Wahrhaftigkeit.

Also: Was sucht Gabi Burgstaller in der SPÖ? Grundsätze? Parteiprogramm? Die Löwelstraße sollte ihr helfen, fündig zu werden. Blöd, dass die auch nicht wissen, wohin das unnütze Zeug verräumt wurde. Trotzdem: Burgstaller ist Kompass im Grundsatzdschungel (siehe Studiengebühr, Wehrpflicht ...). In Salzburg wird sie gewählt, weil die ÖVPler glauben, dass sie eh eine von ihnen ist. Wie plemplem muss man sein, angesichts der eigenen Devianz Verwunderung über Faymann-Streichungen zu zeigen?

Auf Ackerl bauen?

Zum Glück gibt es viele Leuchten, die der Partei den Weg ins Nichts weisen: OÖ-SP-Chef Ackerl, einst nur mit Hilfe der ÖVP zum Landesrat gekürt, weil nicht einmal alle SP-Landtägler ihn wählen wollten. Als Reichenjäger ist Ackerl ein notorischer Fall exorbitanter Verhaltensoriginalität. Im Bund großer Linksabweichler, stimmt er auf Landesebene zum Entsetzen der Basis jedem Unfug der ÖVP zu (z. B. dem Personalringelspiel in der Spitalsholding bei gleichzeitigem Totsparen der Regionalspitäler). Permanent gegen die Bundespartei mosern und sich wundern, wenn ein paar Delegierte die "Kritik" ernst und den Streichungskuli in die Hand nehmen. Auch so kann man den Parteikarren gegen die Wand fahren: links blinken und rechts abbiegen. Ackerl beherrscht das perfekt. Bloß vermögen die Basiswappler diesem Politvolant-Virtuosen nicht zu folgen, spitzen Bleistifte und streichen auf ausgepackelten Kandidatenlisten herum. Dass er sich dann mit der dreifachen Verdammung "Feiglinge, Feiglinge, Feiglinge" ausschleimt, zeugt von einem Fingerspitzengefühl, das weder die Zungenspitze noch den präfrontalen Cortex erreicht hat.

Zu Franz Voves fällt einem beim schlechtesten Willen nichts ein. Er hätte im Eishockey bleiben und dort seinen Hang zum unguided bodycheck ausleben sollen. Bleibt noch Michael Häupls sensible Wortwahl. Nur Böswillige interpretieren das nicht als kumpelhafte Hilfe für die Bundes-SP. Viel hat Häupl bisher zu Grundsatzfragen nicht beigetragen, aber die ÖVP eine Ansammlung "mieselsüchtiger Koffer" zu nennen, ist eine soziologische Zuordnung bleibenden Wertes, auf Augenhöhe mit der Wiederbelebung des städtischen Weinguts Cobenzl. Hoch anzurechnen ist ihm, dass er nie in scheußlicher Robe bei den Salzburger Festspielen aufgetaucht ist.

So dämmerte einigen Parteigranden, dass man ein neues, äh, ein, wie hieß das, ach ja, klar, dem Blecha fällt das Wort ein, Parteiprogramm, genau, also ein neues Eh-schon-wissen braucht. Dann soll's der Charly machen. Dabei lungert die ganze Partei längst auf allerlei Programmen herum. Die Oberösterreicher haben erst vor kurzem "morgen.rot" beschlossen, bloß hat Ackerl im Stress vergessen, es zu lesen: Die Kritik am Bund verzehrt alle Kräfte.

Auf Blecha vertrauen?

Man sollte die Herrschaften mal durch die Archive der Partei führen. Dort biegen sich die Regale unter der Last von Programmen. Z. B. tausende Seiten, die unter Gusenbauers "Netzwerk Innovation" produziert wurden. Der Programme sind genug geschrieben, lasst uns endlich Taten sehen! Schickt ein Waisenmädchen (aber ohne notarielle Aufsicht von Laura Rudas) mit verbundenen Augen ins Parteiarchiv. Die soll aus irgendeinem Stapel ein paar Papierln herausziehen, der Stoff, aus dem das neue Parteiprogramm ist. Was immer da gezogen wird, Hauptsache es wird dann auch gemacht. Schlimmer als jetzt kann es nicht werden.

Weder Transparenzgesetz noch Bundesheerdebatte oder Faymanns Absenz im U-Ausschuss haben die Streichungen provoziert (bei 99 Prozent Zustimmung hätte man übrigens Ostblock gemurmelt). Es ist die Summe von allem, also die Summe aus dem Nichts, dem deplorablen Zustand der SPÖ, der völligen Orientierungslosigkeit der angeblichen "Führung", die zu solchen Ergebnissen führt. Würden am Parteitag nicht überwiegend loyale Funktionäre ab der mittleren Ebene hocken, sondern einfache, sich an der " Basis" abstrudelnde Mitarbeiter, dann wäre Faymann kaum über 20 Prozent gekommen.

Camus lesen!

SPÖ-Wählern ist das Lachen längst vergangen. Laut market Institut werden sie nur von 10 Prozent der Befragten als "glückliche Menschen" beschrieben und haben damit den Status von Sisyphos bei Camus erreicht: " Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen." So wie dieser den Stein immer wieder hinaufrollt, spitzen sie immer wieder den Bleistift. Egal ob sie wählen oder streichen - am Ende liegt der Stein wieder ganz unten, dort, wo der Berg beginnt. (Michael Amon, DER STANDARD, 20./21.10.2012)