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Vor der dritten TV-Debatte in Boca Raton, Florida.

Foto: Eric Gay/AP/dapd

Es muss irgendwann Ende 2005 oder Anfang 2006 gewesen sein, genau lässt es nicht festmachen. Condoleezza Rice, die neue Außenministerin George W. Bushs, war damals ziemlich genau ein Jahr lang im Amt. Und sie leitete in diesen Tagen eine weitreichende Rekalibrierung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik ein. Nach Jahren ideologischen Eiferertums kehrte Washington stillschweigend zur Realpolitik zurück. Der amerikanische Unilateralismus hatte plötzlich ausgedient, internationale Kooperation wurde wieder großgeschrieben.

Für alle offensichtlich materialisierte sich dieser neue Ansatz als die USA Mitte Mai 2006 nach Jahrzehnten wieder diplomatische Beziehungen mit Libyen (unter Muammar al-Gaddafi) aufnahmen und Rice wenig später erklärte, Washington sei bereit, in die multilateralen Gespräche im Atomstreit mit dem Iran einzusteigen. Das sei ein ein epochaler "shift" in den amerikanischen Außenbeziehungen, konstatierten US-Blätter damals.

In der Tat war damit die blindwütige Bush-Doktrin, die der damalige Präsident nach 9/11 ausgegeben hatte, Geschichte. Ihre vorbeugenden Kriege hatten die Vereinigten Staaten in eine strategische Sackgasse, ja, schwer in die Defensive geführt (Stichwort Irak, vor allem auch deswegen musste eine Gesprächsbasis mit Teheran her).

Realpolitik zurück

Realpolitik also, so wie sie der Republikaner Henry "Dr. K" Kissinger in den 1970er Jahren vorexerziert hatte und wie sie unter Bush senior und Bill Clinton exekutiert wurde, war wieder die Dominante in Washington - geleitet von realistischer Weltsicht, nationalen Interessen und sicherheitspolitischen Erfordernissen, die mitunter nicht mit moralisch wünschenswerten Vorstellungen kongruent gingen.

Die Regierung Barack Obamas hat diese "Tradition" fliegend und beinahe vollinhaltlich übernommen. Das lässt sich nicht nur aus personellen Kontinuitäten ersehen: Bush letzter Verteidigungsminister Bob Gates, auch er kam 2006 ins Amt, wurde von Obama zweieinhalb Jahre lang behalten. Der neue Präsident eskalierte außerdem den Krieg in Afghanistan, brachte Osama Bin Laden zur Strecke, setzte eine Unmenge Drohnen ein, ließ Guantánamo offen, zwang den Iran unter scharfe Sanktionen und dämmte Chinas Ambitionen ein. Deswegen glauben inzwischen sogar einige, dass Obama außenpolitisch ein astreiner Republikaner sei.

Inhaltlich keine großen Unterschiede

Tatsächlich trennen Obama und seinen Herausforderer Mitt Romney, anders als viele annehmen, inhaltlich auch keine Welten. Wenn der Republikaner vom neuen „Amerikanischen Jahrhundert" spricht, mag darin Reminiszenz und Einfluss seiner neokonservativen Berater verborgen sein. Auch der Ton Romneys ist mitunter schärfer, als ihn ein Realpolitiker (und Präsident) anschlagen würde. Dennoch hat sich Obamas Rivale nach den republikanischen Vorwahlen außenpolitisch wieder deutlich in die Mitte bewegt. Der Kontrast, den man heute bei der dritten TV-Debatte sehen wird können, ist eher ein rhetorischer als ein inhaltlicher.

In Sachen Iran etwa sind für Obama trotz Präferenz der Diplomatie "alle Optionen auf dem Tisch". Romney will die Präsenz der US-Flotte in der Region verstärken und mehr mit Israel zusammenarbeiten. Unterm Strich heißt das genau das gleiche. In Syrien lehnt Obama eine Bewaffnung der Rebellen ab, Romney fordert sie - aber nicht durch die Amerikaner. Auch das bedeutet unterm Strich das gleiche. Auch in Afghanistan will Romney nicht mehr bis zur letzten Patrone kämpfen, sondern ist inzwischen auf Obamas Abzugs-Linie eingeschwenkt.

Differenzen bleiben dort, wo Tests in Fokusgruppen den Wahlkampfmanagern Romneys eine Möglichkeit zur Profilierung versprechen: Israel, China, Russland und eine pessimistische Haltung zum Arabischen Frühling. Aber auch diese Meinungsverschiedenheiten würden sich relativieren, sollte der Republikaner je ins Weiße Haus gelangen. Denn dort hat noch jeder früher oder später gelernt, das erfolgreiche Realpolitiker leise Realpolitiker sind. (Christoph Prantner, derStandard.at, 22.12.2012)