Wien - Andreas Kappeler beschäftigt sich seit langem mit der Geschichte der Ukraine und hat einige Bücher zur Geschichte dieses Landes verfasst. Der gebürtige Schweizer hat an der Universität Wien in Zusammenarbeit mit der Slawistik einen Ukraine-Schwerpunkt entwickelt, der im deutschsprachigen Raum führend ist. Unter anderem initiierte und leitete er das Doktoratskolleg "Das österreichische Galizien und sein multikulturelles Erbe".

Kappeler ist gleichzeitig auch Russlandhistoriker. Sein neuestes Buch verbindet seine beiden Forschungsinteressen, indem es ein Schlüsselelement zum Verständnis der Ukraine beleuchtet: das komplexe "Verwandtschaftsverhältnis" zu Russland.

Was das Werk besonders reizvoll und lesenswert macht: dass es russisch-ukrainische Geschichte am Beispiel eines Wissenschafterehepaares erzählt. Kappeler: "Sie repräsentieren diese Verflechtungen in der zweiten Hälfte des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts optimal, in ihrem Leben wie in ihrem Werk. Beide befassten sich mit der Geschichte und der Ethnografie Russlands und der Ukraine, beide lebten zusammen in der Ukraine und im Norden Russlands."

Besonders fasziniert hat Kappeler die Frau: die ethnische Russin Aleksandra Jefymenko, die ohne Hochschulbildung die erste wissenschaftliche Geschichte der Ukraine verfasst hat. 1910 erhielt sie den Doktortitel honoris causa und wurde in St. Petersburg die erste Geschichtsprofessorin nicht nur Russlands, sondern ganz Mittel- und Osteuropas.

Mit seiner Arbeit holte Kappeler Aleksandra Jefymenko aus dem Vergessen, denn in der Ukraine und in Russland kennt man sie kaum. Und: "Dass damals eine ethnische Russin die maßgebende Geschichte der Ukraine schrieb, das wäre bei der heutigen nationalen Polarisierung undenkbar." (jk, DER STANDARD, 23.10.2012)