Gastchefredakteur des "New Statesman": Ai Weiwei

Foto: STANDARD/Johnny Erling

Chinas Polizei sah nichts, obwohl Subversives vor sich ging. Wochenlang arbeitete der videoüberwachte, telefonisch abgehörte Konzeptkünstler Ai Weiwei unter ihren Augen am neuesten Werk.

Der wichtigste, vielseitige Gegenwartskünstler Chinas betätigte sich als Gastchefredakteur des renommierten britischen Magazins "New Statesman". Er gestaltete die am Wochenende erschienene Sondernummer zur Nation China mit Karikaturen, Fotoreportagen, Liedtexten, Gedichten und Dokumenten von Widerstandskunst.

"Wu Mao" für Zensur

Ai hat aufregende Essays, Aufsätze, Twitter-Umfragen verfasst, was das Volk über die Zukunft denkt, führte Interviews mit einem Internetzensor, der pro gelöschten Eintrag von der Regierung eine Belohnung von "Wu Mao" (sechs Cent) erhielt und befragte über Skype den in die USA ausgeflogenen blinden Bauernaktivisten Chen Guangcheng. Daneben hat er Gastautoren geworben, die in China nicht publizieren dürfen: etwa die in Peking lebende Autorin und bekannte tibetische Bloggerin Tsering Woeser. Sie erzählt über die aktuelle Lage der Tibeter in Lhasa, die zu Fremden in der eigenen Heimat gemacht werden und sich ständig chinesischen Kontrolleuren gegenüber ausweisen müssen. Drangsalierte Anwälte wie Liu Xiaoyuan, Teng Biao oder Li Fangping schreiben in Ais New Statesman über eine rechtsbeugende Justiz und ein politisch abgesetzter Redaktionsleiter über Medienzensur.

2011 in Isolationshaft

Ai war 2011 von der Polizei 81 Tage in Isolationshaft eingesperrt worden und kam nur auf internationalen Druck frei. Dass die Polizei untätig zuschaute, erstaunt Ai nicht. "Die Behörden kontrollieren mich zwar, aber lockerer als früher. Sie scheinen zum Schluss gekommen zu sein, dass sie mit einem Künstler toleranter als mit anderen umgehen müssen." (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 23.10.2012)