Erni Griebler, porträtiert von Pepa Feldscharek, Wien, ca. 1933.

Foto: Jüdisches Museum Wien

Wien - Es sind drei Ansichtskarten, 1941 aus Kalifornien abgeschickt, adressiert an "Liebes Fräulein Riedl" in Wien und hier ordnungsgemäß mit Hakenkreuz abgestempelt. Auf zweien ist die Unterschrift zu lesen: "Dora Harvey".

So unscheinbar sie in dem Glaskasten wirken, zählen die Karten doch zu den spektakuläreren Objekten der reichbestückten Ausstellung "Vienna's Shooting Girls - Jüdische Fotografinnen aus Wien". Denn den Kuratorinnen Iris Meder und Andrea Winklbauer ist es anhand der Poststücke gelungen, den Lebenslauf einer der gezeigten Künstlerinnen zu vervollständigen: Dora Horovitz hatte gemeinsam mit Trude Geiringer in den Zwanziger- und Dreißigerjahren ein renommiertes Fotoatelier geführt, viel Prominenz ließ sich von ihnen ablichten. 1938 zog Horovitz aus Wien weg - ausgerechnet nach Berlin. Biografen nahmen ihre vermeintliche Spur auf, doch es handelte sich um andere Wienerinnen desselben Namens.

Erst die Vorarbeiten der beiden Ausstellungsgestalterinnen, verbunden mit Glück (ein Händler hatte die Karten aus einem Nachlass), führten dazu, dass man Dora, die sich nunmehr den Nachnamen Harvey gab, im kalifornischen San José orten konnte. Dort lebte sie bis 1978.

Nicht alle konnte sich ins Ausland retten. Die Arbeiten und Lebensläufe von insgesamt 70 Fotografinnen sind ab heute, Dienstag, im Jüdischen Museum Wien einzusehen.

Wie sie in der Branche der Lichtbildner reüssierten und wie plötzlich ihr Anteil verschwand, macht schon die Vorhalle der Schau klar. Eine Timeline, auf den Boden projiziert, zeigt, dass es 1907 acht professionelle Adressen gab - was damals mit Fotostudios ident war. Auf einer Karte von Wien wachsen die Punkte über die Jahre an. In den Dreißigern kann man sie nicht mehr zählen, vom ersten, zweiten und neunten Bezirk breiten sie sich über die ganze Stadt aus. 1941: kein einziger Punkt mehr.

Panorama kultureller Bezüge

Die Ausstellung geht chronologisch vor. Sie führt anhand von Vintage-Prints und, wenn anders nicht möglich, von Reproduktionen vor, dass bereits in der Kaiserzeit jüdische Frauen zu den Pionieren der Porträtfotografie zählten. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert ermöglichte die Emanzipation, insbesondere die Öffnung der Grafischen für Mädchen, verbunden mit dem Bildungs- und Erziehungsbewusstsein in jüdischen Familien, neue Karrieren. Welche Rolle Ateliers wie die der Madame d'Ora vulgo Dora Kallmus oder von Trude Fleischmann im Wiener Gesellschaftsleben der Zwischenkriegszeit spielten, ist seither schon belegt und gewürdigt worden.

Die Schau geht aber über die bekannten Namen hinaus. Eine systematische Rekonstruktion ergab, wie groß der jüdische Anteil in der Mode-, Kunst- und Porträtfotografie, bei Sozialreportagen und experimentellen Arbeiten war. Die Besucher gehen die Wände entlang und finden sich in einem Panorama des damaligen Lebens wieder, in einem dichten Geflecht kultureller Bezüge. Während des Ständestaates machten manche Fotografinnen zudem noch den austriakischen Schwenk zu Natur und Trachten mit. Danach war aus.

Der zweite Teil der Schau widmet sich den weiteren Schicksalen und Arbeiten der Vertriebenen. Wieder anhand vieler Originale bestens dokumentiert, zeigt er, in wie viele Richtungen ihre Leben weitergingen. Und wieder geht es um mehr als nur um Bilder. Sie stehen als Chiffren für Brüche, Traumata, Neubeginn. Manche Stellen bleiben leer: Über ein spätes Werk der seinerzeit international tätigen Pepa Feldscharek (siehe Bild links) ist seit ihrer Flucht nach New York, wie im Katalog steht, "nichts bekannt".

Bei der Begehung war auch die hier porträtierte Lisl Steiner anwesend, die als Elfjährige Wien verlassen musste und ihre Fotokarriere in Buenos Aires und New York begann, wo sie heute lebt. "Bin ich der letzte Mohikaner?", fragte sie die Kuratorinnen. Nein, war die Antwort, "eine der beiden letzten."

Die andere ist Elly Niebuhr, 1914 in Wien geboren. Sie ist die Einzige, die nach Wien zurückkehrte, eine zweite Karriere als Modefotografin begonnen hatte und geblieben ist. (Michael Freund, DER STANDARD, 23.10.2012)