STANDARD: Wie gerecht ist die österreichische Justiz?
Tomanek: Gerechtigkeit können sie erwarten vom Jüngsten Gericht, bei Gericht bekommen Sie ein Urteil. Ich kann aus meiner eigenen Statistik sagen, dass mehr Unschuldige verurteilt werden als Schuldige freigesprochen werden.
STANDARD: Die Gefängnisse sind voller Unschuldiger?
Tomanek: Nicht jeder, der verurteilt wird, ist im Gefängnis. Aber es ist immer wieder so, dass Leute zu Unrecht mit Vorwürfen konfrontiert und auch verurteilt werden - weil es für die Richter einfacher ist, eine Verurteilung zu begründen als einen Freispruch.
STANDARD: Bei einem Freispruch im Zweifel muss man aber nicht viel begründen?
Tomanek: Das ist leider nicht so. Wenn es einen Belastungszeugen gibt, der aus welchen Gründen auch immer falsch aussagt, kann den das Gericht nicht ignorieren.
STANDARD: Nun schreiben Sie in Ihrem Buch von der Zwei-Klassen-Justiz. Bedeutet das, manche können es sich richten?
Tomanek: Nicht im Sinne von Korruption - man kann sich in Österreich kein Urteil kaufen. Aber es ist ein soziologisches Phänomen wie etwa im medizinischen Bereich: Wer mehr Geld hat, dem geht's besser. Man kann sich bereits im Vorfeld eine Anwaltsarmada und Gutachter leisten und den Vorwürfen begegnen. Der Habenichts wird erstmals mit einem Verfahren konfrontiert, wenn bei ihm die Tür eingetreten wird.
STANDARD: Könnte man nicht sagen, dass die Justiz, dazu gehören ja auch Sie, einfach zu teuer ist?
Tomanek: Es ist ja eines der markanten Dinge: So freigesprochen können sie gar nicht sein, dass nichts picken bleibt und sie auf den Kosten sitzen bleiben. Der staatliche Kostenersatz bei einem Freispruch ist wirklich lächerlich. Man muss sich also überlegen, ob man überhaupt einen Wahlverteidiger beauftragen kann. Recht kostet Geld und man muss es sich auch leisten können.
STANDARD: Welche Rolle spielt die Polizei?
Tomanek: Früher haben Ermittlungen erst dort begonnen, wo heute die Amtshandlung schon abgeschlossen ist. Die Übergabe von einem halben Kilo Kokain ist heute ein Erfolg für die Fahnder. Früher gab es zehnmonatige Überwachungen, Peilsender, eingeschleuste Ermittler. Das kostet Zeit und Geld.
STANDARD: Bei den Tierschützern wurde der Aufwand aber betrieben.
Tomanek: Die Tierschützer ... Diesen Wahnsinn hab ich natürlich verfolgt, und das war ja in Wahrheit ein Micky-Maus-Delikt, aber die Strafe an sich war der Prozess. Jedem hat klar sein müssen, dass da nichts herauskommen kann. Wenn das der 278a (der umstrittene Mafia-Paragraf; Red.) sein soll, dann kann irgendwer nicht lesen. Das war empörend.
STANDARD: Im Buch schreiben Sie von Seilschaften, die der oberen Klasse angeblich nützen. Inwiefern?
Tomanek: Leute aus einem bestimmten Zirkel gehen miteinander anders um als mit Außenstehenden. Egal ob es der CV ist, die Freimaurer, der BSA, die Jägerschaft oder irgendwelche Studentenverbindungen. Wenn es hier Gemeinsamkeiten gibt, dann redet es sich leichter. Gerade im Oberligabereich gibt es immer wieder Interventionsversuche, es ist wohl eine Binsenweisheit, dass Seilschaften nicht schaden.
STANDARD: Was hat Ihnen Ihre Mitgliedschaft beim Ring Freiheitlicher Studenten gebracht?
Tomanek: Das ist fast 30 Jahre her und schadet eher. Die sind böse auf mich, weil ich Leute vertrete, die nicht in ihr Weltbild passen, wie Zigeuner, Schwarze und nicht nur nordische Menschen.
STANDARD: Was macht einen guten Strafverteidiger dann aus?
Tomanek: Lehrbücher haben wir alle die gleichen. Ich sag immer, ich hab im Gemeindebau in Ottakring und in den dortigen Lokalen mehr gelernt für den Job als auf der Uni. Es ist leider auch ein richtersoziologisches Phänomen, dass wir jetzt 70 Prozent Mäderln aus der katholischen Privatschule haben, die in der Mindestzeit studiert haben, einen Dolmetscher fürs Floridsdorferische brauchen und mit 27 dann über Schicksale entscheiden.
STANDARD: Geht die Zwei-Klassen-Justiz nicht auf ein gesamtgesellschaftliches Phänomen zurück - die Schere zwischen Arm und Reich geht ja immer weiter auseinander?
Tomanek: Mein Standpunkt setzt woanders an. Beim Mittelständler, der nicht arm, aber einfach nicht vernetzt ist, der gerade genug für sich und seine Familie hat; der aber, wenn was passiert, ins Bodenlose fällt. Es ist nicht meine Aufgabe, Lösungen anzubieten, aber ich wollte es einmal gesagt haben. (Michael Möseneder/Michael Simoner, DER STANDARD, 23.10.2012)