Szene aus "Chroniques sexuelles d'une famille d'aujourd'hui", dem Eröffnungsfilm des diesjährigen Pornfilmfestivals in Berlin.

Foto: Pornfilmfestival Berlin 2012

Im Rahmen des Pornfilmfestivals stellt die feministische Sex-Bloggerin Anne G. Sabo ihr neues Buch "After Pornified - How Women Are Transforming Pornography & Why It Really Matters" vor.

Foto: Matt Spevack

Dass Pornografie längst in unserem Konsumalltag angekommen ist, ist Tatsache. Mainstream-Pornos findet man auf dem Pornfilmfestival Berlin, das am Freitag in Berlin-Kreuzberg in die siebte Runde geht, allerdings nicht. "Sexualität ist seit Anbeginn des Medium Film ein Thema gewesen", stellt das vierköpfige FestivalkuratorInnen-Team - bestehend aus Jürgen Brüning, Manuela Kay, Claus Matthes und Jochen Werner - fest. Das 2006 gegründete Festival präsentiert Produktionen von den "Rändern" der Sexfilm-Industrie, die vergleichsweise wenig mit dem kommerziellen Porno-Angebot zu tun haben. Auch mit seinem vielfältigen Rahmenprogramm - von Lectures und Workshops über Ausstellungen bis hin zu Performances - versucht das Festival, Pornos aus der "Schmuddelecke" zu holen und in eine öffentliche Auseinandersetzung zu überführen.

Alternative Pornografie

Die Möglichkeiten an "alternativen" Darstellungen und Narrationen im Pornofilm loten vor allem die feministischen und lesbischen bzw. queeren Porno-Produktionen aus, die beim Berliner Pornfilmfestival seit jeher einen fixen Platz einnehmen. Diese "anderen" Porno-Filme lassen sich jedoch nicht einfach auf einen einzigen gemeinsamen Nenner bringen, berühren sie doch die verschiedensten Fragestellungen: Phallozentrismus, Arbeitsverhältnisse in der Sex-Industrie, Umdeutung heterosexistischer Erzählungen, verdrängte Subkulturen und öffentlicher Raum, Beziehungsnormen, Fetischisierung oder auch die Auflösung herkömmlicher Geschlechterrollen.

Kritik mit den Mitteln der Pornografie

Doch was für die einen die Auflösung der zugeordneten Rollen, ist für die anderen eine generelle Kritik am Geschlechterverhältnis mit den Mitteln der Pornografie. Und was für eine neue Generation an feministischen "Pornografinnen" wie etwa Candida Royalle, Jennifer Lyon Bell, Anna Span, Erika Lust oder Petra Joy als willkommenes Experimentierfeld für alternative Darstellungen und Identitätsentwürfe dient, ist bis heute ein erbittertes Streitfeld unter Feministinnen.

Es war Ende der 1980er-Jahre, als sich im deutschsprachigen Raum die erste "PorNO"-Debatte unter der wortreichen Führung von "Emma"-Gründerin Alice Schwarzer vollzog. Doch schon zuvor initiierte "Emma" eine erste Aktion: Gemeinsam mit neun anderen prominenten Frauen verklagte Schwarzer 1978 die Zeitschrift "Stern" wegen seiner sexistischen Titelbilder.

Ihr Ziel war ein Gesetz anzuregen, das Pornografie nicht länger als "Verstoß gegen Sitte und Anstand" definierte, sondern als "Verletzung der Menschenwürde". In der Neuauflage der "Emma"-Kampagne 1988 wurde diese Forderung weiter konkretisiert - unter anderem hieß es: "Pornografisch sind diejenigen Darstellungen zur sexuellen Anregung, die Frauen erniedrigen, sie in einer Ohnmachtsposition gegenüber Männern zeigen und zum Frauenhass oder gar Mord aufstacheln." Unterstützung erhielt "Emma" zu, Beispiel von Andrea Dworkin, die 1979 das radikalfeministische Anti-Porno-Manifest "Pornography - Men possessing Women" veröffentlichte.

Von PorNo zu She-Porn

2007 erlebte die "Emma"-Kampagne "gegen Pornografie und die Pornografisierung von Medien, Mode und Kultur" schließlich ihre dritte Auflage. Weiterhin stellt die kausale Verknüpfung von Fantasie (Pornografie) und Tat (sexuelle Gewalt an Frauen) den Kern der Kritik dar. Daraus leitet sich auch die von vielen Porno-GegnerInnen getroffene Unterscheidung in "gute Erotik" und "böse Pornografie" ab. Alice Schwarzer: "Wir erkennen Pornografie an der Verknüpfung von sexueller Lust mit der Lust an Erniedrigung und Gewalt - und zwar für Täter wie Opfer. Was das Gegenteil von Erotik ist, bei der es keine Hierarchie gibt, nichts festgelegt ist, sondern alles offen." Pornos für Frauen sind demnach für Schwarzer & Co. "ein Widerspruch in sich. Denn die rein genitale Sexualität ist traditionell eher Männersache, Frauen funktionieren erotisch komplexer. Das direkt Genitale und die Gewalt sind jedoch das Wesen von Pornografie - was sich für Frauen nicht einfach umdrehen oder unter Frauen kopieren lässt."

Die Kluft zwischen den feministischen "PorNO"- und "Pro Sex"-Aktivistinnen ist heute größer denn je: Unter dem Titel "PorYes" wird seit 2006 der "Feminist Porn Award", der erste feministische Pornofilmpreis in Europa, verliehen: "Weil wir von unzähligen schlechten, degra-dierenden, dummen und klischeehaften Pornos überschüttet werden und wir Pornos mit höherem Niveau sehen wollen. Und wie Annie Sprinkle schon sagte, die Antwort auf schlechten Porno lautet nicht gar kein Porno, sondern mehr Porno", wie es auf der Website des Filmpreises heißt.

Good Porn for Good Girls

Zu den Fürsprecherinnen von "Frauenpornos" gehört auch Anne G. Sabo, die im Rahmen des aktuellen Berliner Pornfilmfestivals ihr neues Buch präsentiert: "After Pornified - How Women Are Transforming Pornography & Why It Really Matters". Auf ihrer Homepage schreibt die in Norwegen aufgewachsene und heute in den USA lebende Autorin, Sex-Bloggerin und "public educator": "Bei Pornografie dachte ich nie an etwas Feministisches, im Gegenteil. Bis ich auf progressive feministische Pornos von Frauen gestoßen bin, die die Mittel der Repräsentation nutzen, um Sexualität auf ihre Weise zu erkunden und zu definieren, und um Frauen wie Männer von den althergebrachten erotischen Konventionen und klaustrophobischen Geschlechtertollen zu befreien."

In diesem Sinne erklärte auch Regisseurin und Autorin Audacia Ray in einer Diskussion über "Female Porn" beim Berliner Pornfilmfestival 2007: "Natürlich kritisiere ich die Rolle, die Frauen in Pornos üblicherweise zugeschrieben wird, nämlich als Objekt männlichen Begehrens. Aber auch die männlichen Rollen sind beschissen."

Dieser Perspektivenwandel ist nicht zuletzt der Akademisierung der Pornografie geschuldet: 1989 legte die US-amerikanische Filmwissenschaftlerin Linda Williams mit ihrem Buch "Hard Core. Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films" das Grundlagenwerk der sogenannten "Porn Studies" vor. Viele der neuen feministischen Porno-Regisseurinnen und -Produzentinnen wie etwa die schwedische Filmemacherin Erika Lust, die den Mainstream der Pornos mit ihren "frauenfreundlichen" Sexfilmen infiltrieren, haben selbst Gender Studies studiert und beschäftigen sich - unter Einfluss der feministischen "Pro Sex"-Debatten aus dem angloamerikanischen Raum - verstärkt mit Fragen der Repräsentation auf der Leinwand.

Sauber und spermafrei

Mittlerweile führen Frauenpornos jedoch kein Dasein im Underground mehr. Schließlich sind diese nicht nur für unabhängige ProduzentInnen, sondern auch für große Produktionsfirmen interessant, die damit Marktanteile zu sichern versuchen. Das Resultat sind oftmals Filme, die als "weichere, saubere" Version des gewöhnlichen Pornos gehandelt werden. Frauenpornos, oft aufwändig produziert, gelten zwar noch immer als eine der vielen Ausprägungen "alternativer Pornografie", verweigern sich jedoch nicht immer der Kommerzialität.

Nicht nur wegen des normierten "Pornstar"-Looks im Mainstream-Porno nimmt der Anspruch auf Natürlichkeit und Authentizität im Frauenporno einen großen Stellenwert ein. Die Pornos "von Frauen für Frauen", in der Regel für ein heterosexuelles Publikum geschaffen, wollen weibliche Lust möglichst glaubhaft zum Ausdruck bringen. Doch neben der Gefahr, neue Festschreibungen zu setzen, "was Frauen wirklich wollen", gibt es aber noch eine andere Schwierigkeit, wie etwa Verena Chiara Kuckenberger, Autorin des Buches "Der Frauenporno: Alternatives Begehren und emanzipierte Lust", im feministischen Magazin "an.schläge" schreibt: Der Frauenporno werde als derart "anders", sauberer und qualitativ hochwertiger dargestellt, dass er eben kaum mehr "Porno" sei.

Positiv daran sei aber, dass der Porno so auch sein Tabu verliere - für Frauen, für die es nach wie vor als weit weniger akzeptabel gilt, Pornografie zu konsumieren. Kuckenberger: "Durch die Entwicklung von alternativer Pornografie wird die Bandbreite an Pornografie jedenfalls deutlich erweitert und bietet mehr Variation, in der sich ein vielfältiges Publikum wiederfinden kann." Angesichts der Tatsache, dass für viele Menschen Sexfilme noch immer die erste (und manchmal einzige) Art der "Sex-Aufklärung" darstellen, sicherlich nicht die schlechteste Voraussetzung. (viyu, dieStandard.at, 23.10.2012)