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Mit Schnurrbart: Vivienne Westwood auf dem Laufsteg bei der Präsentation ihrer Red-Label-Kollektion bei der London Fashion Week im September.

Foto: AP/Jonathan Short

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Vivienne Westwood mit Ehemann Andreas Kronthaler.

Foto: APA/MATTEO BAZZI

STANDARD: Auf Ihrem Blog stellen Sie Ihre umweltpolitischen Anliegen zur Diskussion, geben aber auch viel Privates von sich preis. Macht es Ihnen nichts aus, so viel Persönliches in der Öffentlichkeit zu wissen?

Westwood: Ach, es gibt so viele Dinge, die ich dort niemals verraten würde. Ich schreibe den Blog, weil ich ein Mensch bin, der hohe Ansprüche hat. Die Leute sollen wissen, dass ich etwas zu sagen habe - und sehen, welches Leben ich führe.

STANDARD: Haben Sie auch früher schon Tagebuch geschrieben?

Westwood: Nein, noch nie! Ich habe einige Aufsätze geschrieben, das war der Anfang des Blogs. Sie müssen wissen, ich habe kein Handy, schaue nie fern und gehe so gut wie nie ins Kino. Ich bevorzuge es zu lesen, das Kino ist mir viel zu uninteressant.

STANDARD: Aber offensichtlich benutzen Sie das Internet.

Westwood: Nein. Ich schreibe alles handschriftlich nieder und gebe es meiner Mitarbeiterin Cynthia, die es abschreibt. Sie arbeitet mit mir an jenem Thema, das mir besonders am Herzen liegt, der Erderwärmung.

STANDARD: Das Thema beschäftigt Sie schon sehr lange ...

Westwood: Ja, ursprünglich ging es mir aber darum anzuprangern, wie wenig Kultur wir heute besitzen. Ich habe ein Manifest geschrieben, das nannte ich: "Aktiver Widerstand gegen Propaganda". Ich wollte die Menschen wachrütteln, damit sie selbst nachdenken, und nicht nur Meinungen hinterherlaufen.

STANDARD: Was hindert uns daran?

Westwood: Zum Beispiel die Tatsache, dass wir von viel zu viel Technologie umgeben sind. Wir Menschen sind Opfer der Maschinen, die wir erfunden haben.

STANDARD: Technik hat uns aber auch viel Wohlstand gebracht.

Westwood: Technik ist dann gut, wenn wir sie dazu einsetzen, Menschen zu helfen. Ich war in Afrika und habe dort Schulen der Einheimischen besucht. Sie hatten keine Bücher, keine Landkarten. Mobiltelefone hatten sie aber. Ich habe ihnen anschließend Bücher geschickt, aber wahrscheinlich werden sie sie nicht lesen. Man kann natürlich auch im Internet Bücher lesen, ich glaube aber, dass einen das Medium eher dazu führt, blindlings Tasten zu drücken als über Dinge nachzudenken.

STANDARD: Das klingt sehr kulturpessimistisch.

Westwood: Ich sage oft, dass das 20. Jahrhundert ein Irrtum war. Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter, das mit der Vergangenheit gebrochen hat. Wir leben jetzt in einer Demokratie, eigentlich ein Paradies, wir sind progressiv, aber Gedanken müssen wir uns keine mehr machen. Das Schlimme ist, dass sich die Menschen in dieser Gedankenlosigkeit sichtlich wohlfühlen.

STANDARD: Was kann da die Mode ausrichten?

Westwood: Wir stopfen nur mehr Dinge in uns hinein. Wenn ich in eine Kunstgalerie gehe, dann gehe ich dort öfters hin und bleibe lange dort. Das nenne ich dann nicht konsumieren, sondern ich investiere in mich selbst. Konsum macht uns nur abhängig.

STANDARD: Arbeiten Sie als Modedesignerin nicht im komplett falschen Bereich? Haben Sie nie daran gedacht aufzuhören?

Westwood: Mode ist prinzipiell eine gute Sache. Ich unterscheide zwischen Massenproduktion und der Idee, Dinge zu designen, die von der Idee von Qualität und nicht von Quantität getragen werden. Dafür setze ich mich ein, leider oft mit wenig Erfolg. Auch mein Unternehmen hat viel zu viele Produkte. Meine Maxime ist: Kaufen Sie wenig, wählen Sie gut aus, und behalten Sie es lange. Es würde mir gefallen, wenn es weniger Produkte und auch weniger Geschäfte gäbe.

STANDARD: Die Modeindustrie dürfte wenig Freude mit Ihnen haben!

Westwood: Das ist egal. Es ist im Interesse von uns Designern, dass Menschen lernen zu differenzieren. Wir haben die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was wir kaufen. Aber klar: Auch ich trage nicht jedes Kleidungsstück aus und verliebe mich manchmal in etwas Neues.

STANDARD: Zum Beispiel?

Westwood: Das Kleid, das ich heute trage, ich trage es fast jeden Tag. Und dann habe ich noch einen Anzug, den ich abgöttisch liebe. In meiner neuen Kollektion gibt es zwar auch einen, den ich wirklich gut finde, aber nein, ich werde meinen alten weiterhin tragen.

STANDARD: Sie sind hier in Wien für eine Modeschau. Sie findet im Kunsthistorischen Museum statt. Viele Ihrer Designerkollegen würden sich in einem Museum für moderne Kunst wohler fühlen. Warum Sie nicht?

Westwood: Ganz einfach: Weil ich finde, dass das meiste, das in einem Museum moderner Kunst hängt, keine Kunst ist. Ich wüsste nicht, was ich mit einem Andy Warhol machen sollte.

STANDARD: Andy Warhol ist keine Kunst für Sie?

Westwood: Nein, und ich kann Ihnen genau sagen, warum: Um 1900 kam es zu großen Veränderungen in der Kunstwelt. Nicht mehr das Kunstwerk war wichtig, sondern der Betrachter. Er entscheidet, ob etwas gut oder schlecht ist. Natürlich ist Kunst subjektiv, aber dennoch glaube ich, dass es Kunstkenner gibt und Kunstamateure. Auch Kunsterfahrung muss eine Wissensbasis haben.

STANDARD: Glauben Sie, dass Mode Kunst ist?

Westwood: Das ist eine Frage, die ich ungern beantworte. Mode ist angewandte Kunst. Das Faktum, dass Mode getragen wird, hat ihr geholfen zu überleben. Mode muss sich immer damit auseinandersetzen, dass der Mensch Arme und Beine hat. Entwirft man einen Stöckelschuh, dann muss man das so machen, dass sich die Trägerin nicht den Knöchel bricht. Kunst kennt solche Beschränkungen nicht, sie ist frei. Mode ist dagegen dazu da, uns Menschen zu helfen.

STANDARD: In den Neunzigern hatten Sie eine Professur hier in Wien. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Westwood: Darüber möchte ich nicht reden. Ich habe damit schlechte Erfahrungen gemacht. Aber ich mag Wien, vor allem die Museen.

STANDARD: Sie haben an der Angewandten Ihren Ehemann kennengelernt, den Tiroler Andreas Kronthaler ...

Westwood: Das stimmt.

STANDARD: Zusammen mit ihm verbringen Sie fast jeden Sommer Zeit auf einer Alm im Zillertal. Was mögen Sie am Almleben?

Westwood: Es ist ein Zufluchtsort, ich lese, wir wandern, die Luft ist wunderbar.

STANDARD: Sie tragen dort Lederhosen, habe ich auf Ihrem Blog gesehen. Warum kein Dirndl?

Westwood: Die Lederhose war ein Geburtstagsgeschenk von einem Freund aus Salzburg. Ich trage sie nicht nur auf der Alm, obwohl Andreas gemeint hat, dass man sie nur in Tirol tragen kann. Aber das ist mir egal, sie ist praktisch und das zu jeder Jahreszeit.

STANDARD: Sie arbeiten beide am Design Ihrer Mode. Wie kann man sich die Arbeitsteilung vorstellen?

Westwood: Sie haben mich gefragt, ob ich nie daran gedacht hätte, aufzuhören. Ein Grund, warum ich mit Andreas arbeite, ist, dass wir nie auf die Idee kämen, nicht zu arbeiten. Bevor ich mit Andreas gearbeitet habe, habe ich das Ganze manchmal etwas schleifen lassen. Mit Andreas ist das anders. Eigentlich bin ich ja mittlerweile eher seine Assistentin. Ich entwerfe, ohne mit ihm davor darüber zu reden. Ansonsten würde es nicht funktionieren, es muss ja alles nach seinen Vorstellungen gemacht werden. So aber arbeiten wir beide getrennt voneinander, und dann erst machen wir gemeinsame Sache. Bei mir muss alles eine Geschichte erzählen, er ist eher visuell und oral veranlagt. Er sieht Dinge, die sonst niemand sieht. Aber er spricht nicht so gern darüber.

STANDARD: Das hört sich sehr tirolerisch an.

Westwood: Die, die wissen, reden nicht darüber. Und diejenigen, die reden, wissen meist nicht viel.

STANDARD: Und haben Sie konkrete Pläne, sich zurückzuziehen?

Westwood: Ich arbeite immer noch gerne, wir verkaufen nicht einfach den Namen und gehen von Bord. Wahrscheinlich will ich auch einfach nur weitermachen, um eine Plattform für meine anderen Aktivitäten zu haben. Wenn ich aufhöre, dann hört mir ja niemand mehr zu!

STANDARD: Im vergangenen Jahr starb Ihre Mutter, zuvor Ihr Exmann Malcolm McLaren: Machen Sie sich seitdem andere Gedanken über das, was kommen wird?

Westwood: Eigentlich nicht. Ich muss Ihnen sagen: Malcolm war keine nette Person, ich habe mich nie über ihn ausgelassen, als er noch lebte. Das gehört sich einfach nicht. Aber als ich hörte, dass er krank ist, war ich geschockt. Er war eigentlich kerngesund, bis er irgendwann mit Asbest in Kontakt gekommen ist und diese unheilbare Krankheit bekommen hat.

STANDARD: Welches Verhältnis haben Sie zum Alter?

Westwood: Es kümmert mich nicht. Meine Mutter war sehr gesund, aber plötzlich passierten ihr Dinge, die ihr zuvor nicht passiert sind. Ich nehme an, bei mir wird es genauso sein. Bis dahin mache ich weiter Yoga und schlucke die eine oder andere Pille. Meine Mutter ging es gut, sie wurde 94, und sie starb sehr schnell. Und mir ging es noch besser, weil ich sie nicht pflegen musste.

STANDARD: Das hätte doch auch eine gute Erfahrung sein können ...

Westwood: Ich hätte mein Leben nicht aufgeben können, um sie zu pflegen. Manche gehen dabei fast drauf!

STANDARD: Bei Ihrer letzten Modeschau waren Sie in einem merkwürdigen Aufzug zu sehen: mit aufgemaltem Schnurrbart und einem Piratenauge. Was war da los?

Westwood: Das war kein Schnurrbart! Ich zeige ihnen etwas, den Familienbaum, ich habe ihn selbst gezeichnet. Er zeigt die Vermählung von Gaia, der Erde, und der Wissenschaft. Ein Ast symbolisiert den Zustand, in dem wir leben, der andere, wie wir leben könnten. Auf dem einen Ast herrscht Friede, auf dem anderen Krieg. Der Schnurrbart sollte meine nach unten gezogenen Lippen symbolisieren, ein verkehrtes Lächeln. Das war das Gesicht des Krieges, das Sie gesehen haben.

STANDARD: In einem Interview haben Sie zuletzt gesagt, dass Sie Politik und Protest nicht mehr interessieren. Das hört sich jetzt eigentlich alles ganz anders an.

Westwood: David Cameron und Ed Miliband sind mir egal, das stimmt. Obwohl: Ich denke, dass Angela Merkel eine gute Politikerin ist. Hollande ist vielleicht auch nicht so schlecht.

STANDARD: Was mögen Sie an Merkel?

Westwood: Sie ist sehr faktenorientiert. Und sie hat Prinzipien. Die meisten Politiker haben ja keine mehr.

STANDARD: Spielt es für Sie eine Rolle, dass Angela Merkel eine Frau ist.

Westwood: Nein. Margaret Thatcher war auch eine Frau, aber sie war das komplette Gegenteil von Merkel. Schlimmer als Thatcher war nur Tony Blair, er hat uns in einen Krieg geführt.

STANDARD: In Großbritannien gibt es viele Euroskeptiker. Sind Sie auch eine?

Westwood: Nein, ich glaube, dass die Idee der Europäischen Union sehr wichtig ist. Ich habe zuvor über Friede und Krieg geredet. Die politische Fusion von Europa ist ein Friedensprojekt.

STANDARD: Finden Sie es gerechtfertigt, dass die EU den Friedensnobelpreis bekommen hat?

Westwood: Hat sie? Das habe ich gar nicht mitbekommen. Das ist ja wunderbar!

STANDARD: Es gab diesbezüglich auch einiges an Kritik ...

Westwood: Es war eine Schande, als Barack Obama damals den Friedensnobelpreis angenommen hat. Er hat ihn nur bekommen, weil er der erste schwarze Präsident der USA ist. Ich muss Ihnen jetzt endlich etwas Grundsätzliches sagen.

STANDARD: Nur zu!

Westwood: Ich bin diejenige, die die Klimarevolution ausgerufen hat. Selbst jener, der auf ein Plastiksackerl verzichtet, unterstützt sie. Aber es geht darum, dass wir Politiker überzeugen, Wirtschaftsleute. Unser schlechtes Wirtschaftssytem begünstigt den Klimawandel, der Klimawandel belastet wiederum das Wirtschaftssystem. Das ist eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt.

STANDARD: Malcolm McLaren hat 2006 für das Amt des Londoner Bürgermeisters kandidiert. Hat es Sie nie gereizt, in die Politik zu gehen?

Westwood: Ich wäre gern britischer Premier. Ich würde aus allen Schulen kulturelle Zentren machen. Innerhalb eines Tages würde ich alle Probleme lösen.

STANDARD: Also warum machen Sie es nicht?

Westwood: Weil es zu lange dauert, bis ich in der Position bin. Nach einem Tag würde ich den Job wieder los sein. Keinem würde gefallen, was ich machen würde.

STANDARD: Als Politikerin müssten Sie jedoch auf die Mode verzichten.

Westwood: Das ist doch egal. Ich muss keine Mode mehr machen, ich habe genug Kleidung bis an mein Lebensende. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 25./26.10.2012)