Bild nicht mehr verfügbar.

Jérôme Kerviel und sein steiniger Weg mit der Justiz.

Foto: APA/EPA/Yoan Valat

"Ich stehe vor Ihnen und riskiere mein Leben", schleuderte Jérôme Kerviel seinen Richtern entgegen. Was genau er meinte, führte er damals nicht aus. Jedenfalls überzeugten seine Worte nicht. Für den Verlust von 4,9 Milliarden Euro aus angeblich nicht genehmigten Spekulationsgeschäften bei der Société Générale verdonnerte ihn das Gericht im Jahr 2008 in erster Instanz zu drei Jahren unbedingter und zwei Jahren bedingter Haft. Kerviel soll für sein Verbrechen zahlen - nicht nur mit einer Gefängnisstrafe, den Schaden soll er auf Euro und Cent zurückzahlen. Ein Erfolg für die französische Großbank, nannte der damalige Vorstandsvorsitzende und Verwaltungsratschef Daniel Bouton Kerviel einen "Terroristen".

In der Tat hatte der damals 31-Jährige mit 50 Milliarden Euro jongliert. Eine Summe, die den Wert des Bankhauses bei weitem übertraf. Der Handelsverlust war somit einer der größten in der Geschichte. Er löschte auf einen Schlag fast den gesamten Vorsteuergewinn aus zwei Jahren der Investmentbanking-Sparte der Société Générale aus. Nicht einmal der schillernde Staranwalt Olivier Metzner, zu dessen erlauchtem Klientenkreis auch die Tochter der L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt zählt, konnte Kerviel diese Strafe ersparen. Er kündigte Berufung an - und kündigte wenig später.

Kerviel geht in Berufung

Nun geht Kerviel in Berufung und pokert damit hoch. Denn nicht selten wird in Berufungsverfahren die Strafe noch verschärft. So fordert die Staatsanwaltschaft bereits das Höchstmaß von fünf Jahren Haft. Kerviels Gegengift: Er ändert seine Strategie: Hatte er sich im ersten Prozess noch damit verteidigt, dass er bei seinen hochriskanten Geldgeschäften mit Wissen seiner Vorgesetzten gehandelt habe, will er mit seinem neuen Anwalt David Koubbi beweisen, dass er Opfer einer Verschwörung geworden sei.

Demnach soll Kerviel freien Handlungsspielraum gehabt haben, um von den desaströsen Subprime-Geschäften der Bank abzulenken. Außerdem will er zwei mysteriöse Zeugen ausgeforscht haben. Die ehemaligen Angestellten von Fimat, einer Tochterfirma der Société Générale, hätten bereits im Vorfeld angegeben, über Kerviels hohe Spekulationen gewusst zu haben. Laut Koubbi ein Indiz mehr dafür, dass Kerviel kein Betrüger, sondern das Bauernopfer des Systems gewesen sein muss. Die ganze Affäre sei eine "Maskerade und eine intellektuelle Gaunerei", zitiert die französische Tageszeitung "Liberation" den Anwalt. Er fordere einen Freispruch für seinen Mandanten.

Bank hält Theorie des Kerviel-Anwalts für "grotesk"

"Absurd", "grotesk", "eine gigantische Anschuldigung und Lüge", konterte die Bank laut der Zeitung "Nouvel Observateur", als Koubbi im Sommer Anzeige erstattete. Eines macht jedoch stutzig: 1,7 Milliarden Euro erhielt die Bank für ihren Verlust durch Steuererleichterungen wieder zurück, obwohl die französische Bankenkommission offiziell gravierende Versäumnisse bei der Kontrolle ihrer Händler festgestellt hatte. Darüber hinaus wurde dieses Steuerzuckerl im ersten Prozess nie thematisiert und erst nach der Verurteilung Kerviels publik. Bankchef Bouton musste gehen, die Société Générale vier Millionen Euro Strafe zahlen. Juristisch bleiben viele Fragen offen.

Richterin Mireille Filippini wird sie vermutlich nicht alle klären können. Sollte sie bei der heutigen Berufungsverhandlung jedoch die Höchststrafe von fünf Jahren verhängen, müsste Kerviel aller Voraussicht nach vom Gerichtssaal direkt in die Gefängniszelle. (ch, derStandard.at, 24.10.2012)