Es hat ja anders begonnen: Im Kopf des Gerhard Berger vor zwei Jahren. Die Kumpels Tobias Moretti und Berger waren im Motocross-Training auf Ibiza gewesen, bei ihrem Freund Kinigadner, dessen Vorname uns entfallen ist, er ist der Kini und sonst nix. Ex-Motocross-Weltmeister, dann Star aller Rallyes von Dakar bis Australien, jetzt 52. Wir nennen ihn auch gern den König der Tiere. Das ist kein despektierlicher Ausdruck.

Die Verwachsenheit von Mensch und Zweirad in ihrer Anwendung für Wüstengebiete schafft durchaus eigene Wesen, und die haben dann auch einen eigenen Umgang mit den Normalos, das beginnt beim Händedruck, wo der Begrüßte leise wimmert. Kini ist klug, herzlich, direkt, und sehr, sehr robust, ich meine, wirklich robust, auch für einen Tiroler.

Man hatte auf der Rückreise von Ibiza einen Stop auf Gerhards Yacht in Monaco gemacht, und wie man halt an Deck so beinanderhockt, kommen die schweren Gedanken. Man ist ja immerhin schon 50 (jå, jå, nicken die alten Männer bekümmert) und sumpert so dahin, da hilft keine Yacht und kein Theaterspielen und Filmemachen, gell. Man müsst' noch einmal was ganz Wildes machen, auf Hochdeutsch bringt man das nicht rüber: Was ganz Wüdes.
"Bevor's z'spät is", sagt Gerhard.
"Genau, bevor's z'spät is" sagt Tobias.
"Dakar", sagt Kini.
Berger: "Da brauch' ma aber a wirklich g'scheit's Auto, sonst wird das nix."
"Auto?", sagt Kini, "i hör net recht. A g'scheite KTM, das ist das Einzige, was zählt, wenn ihr was wirklich Wüdes wollts."

Projekt Dakar

Am Ende des Tages entschlossen sich Tobias Moretti und Gerhard Berger zur Selbstfindung bei Qualen und Schmerzen auf sechstausend Kilometern. Sie gaben sich anderthalb Jahre Vorbereitungszeit, um in Kinis Rallye-Racing-Team auf Motorrädern zur Rallye "Paris-Dakar" (jetzt "Africa Race") zu starten.


Moretti und Bloéb: Was Wildes bevor's z'spät is.

Vier Bloéb-Brüder sind als Bloébs in Tirol auf die Welt gekommen, einer nahm als junger Mann den Namen der Mutter an und heißt seither Moretti. Schauspielerkollege Gregor Bloéb, acht Jahre jünger, ist genauso Motocross-Freak wie Tobias und (noch leichter) für jeden Irrwitz zu haben. Er ließ ein gewisses Interesse an dem noch geheimen "Projekt Dakar" erkennen.

Inzwischen hatte sich Gerhard Bergers Privatleben etwas verkompliziert, außerdem rechnete er seine eigene Statistik immer wieder durch: 20 Jahre Rennerei auf zwei und vier Radln mit soundsoviel Crashes inklusive der Mördernummer von Imola, aber er hat sich eigentlich nie richtig wehgetan. Eine Dakar unter Kinis Anleitung würde diese makellose Bilanz schwerstens gefährden: "Wo der Kini dabei ist, tut sich eigentlich immer einer weh", ohne Ansehen von Herkunft und Rang, Mateschitz war selbstverständlich auch schon eingegipst. Also sagte Gerhard Berger ab, Gregor Bloéb wurde zum Fixstarter.

Die volle Bruderliebe

Die beiden Brüder. Gregor: "Der Tobias war mir halt immer um acht Jahre voraus. Im Gehen, im Schreiben, im Lesen, mit dem Dreiradler, dem Roller, dem Radl, dem Moped - immer acht Jahre voraus." Jetzt hat er ihn irgendwie eingeholt, so kann sich auch die volle Bruderliebe entfalten, "in der Jugend war's eher platonisch".

Er hat nie den Ehrgeiz vom Tobias gehabt, "i bin eher gizi", das heißt "nicht vorwiegend zielorientiert" auf Tirolerisch (in anderen Mundarten wäre mit gizi Zornigsein gemeint, nicht bei Bloéb). Er sagt, dass er immer durchs Leben geschlüpft ist, wie's halt gekommen ist. Eigentlich hat er erst zwei wirkliche Entscheidungen getroffen: "Die erste war die Nina - eh guat, die zweite ist Dakar." Die mit "eh guat" geadelte Dame ist natürlich Nina Proll, die beiden haben zwei Kinder. Sooo wichtig könnte ein Rennen für ihn sein?

"Eben deshalb, weil ich bisher nie diesen Ehrgeiz gehabt hab, mir nie Gedanken gemacht hab, was könnte man besser machen, anders. Man ist ja in der Abstraktion gefangen - man tut so, als ob man etwas machen würde, und es ist nicht echt. Hier ist es echt." 


Nach oben und weit soll's gehen. Trainer Heinz Kinigadner ist noch etwas skeptisch.

Was Tobias betrifft, der ist ein feines, kultiviertes Exemplar einer Wildsau (obwohl cooler, nicht so emotional wie sein Bruder). Mit seinem Chirurgen ist er mittlerweile gut Freund, die treffen sich dauernd. An der vorletzten Verletzung war er allerdings unschuldig. Bei den Dreharbeiten zu Großstadtklein (nächstes Jahr im Kino) hatte er beim Basketball nach dem Korb zu springen und irgendwie kollerte ein blöder Gummiball daher, just unter den Fuß des landenden Tobias. Achillessehne gerissen. Das war im Juni, kurz vor Beginn der ernsthaften Trainingsphase für Dakar.

Die restlichen Filmeinstellungen wurden auf Gesicht und Oberkörper, statisch, umgeschrieben. Sein Freund, der Chirurg, hat ihm die zerfuzelte Sehne zusammengenäht "wie zerfranste Spaghetti". Ab dem dritten Tag finden wir Tobias mit Gipshaxn auf dem Traktor (Joystick!) am eigenen Bauernhof.

Gerissenes Fersenbandl

Seine Frau Julia hat kurze Zeit geglaubt, dass das Schicksal ihm und der ganzen Familie was sagen wollte. Der schnellfüßige Achilles! Und ausgerechnet dem reißt das Fersenbandl, da steckt doch tiefere Bedeutung drin: Ruhmreicher, du sollst nicht nach Dakar. Aber eigentlich war nach drei Monaten die Sache ausgestanden. Verzögerung im Trainingsplan, ohne tiefere Bedeutung.

Tobias und Julia mit ihren drei Kindern führen eine offensichtlich tolle, jedenfalls spannende Künstlerehe. Es war nicht leicht, ihr den Irrwitz Dakar beizubringen, Julia hat geheult und gekratzt, am Ende hat sie eingesehen, er braucht das, es geht nicht anders. Sie sagt, sie sei wirklich keine Revanchistin, "aber ich wünsch dem Tobias, dass er im nächsten Leben als seine Frau auf die Welt kommt." Mittlerweile ist Julia voll auf Kurs, wie Nina Proll beim Gregor. Tobias ist in diesen paar Monaten "sehr erwachsen" geworden, erstaunlich, gell.

Dakar, eine Begriffserklärung

Jetzt müssen wir uns etwas Zeit nehmen für die Begriffserklärung. Dakar ist ja mittlerweile überall, ein Mythos. Es begann 1978 mit einer verschnörkelten Route von Paris in die Hauptstadt des Senegal, bis auf 13.000 Kilometer ausgedehnt, durch Algerien, Niger, Mali, dann auch raumfassend mit einer Schleife über die Elfenbeinküste, und sehenden Auges wurden wir (ich hatte viermal das Vergnügen auf Puch G) durch die Ténéré-Wüste gejagt, eine der schlimmsten Gegenden der Sahara. Es gab Tote und Vermisste (prominentester war 1982 Mark Thatcher, Sohn der Eisernen Lady). Die Dakar geriet zu einem Monster, das irgendwann nicht mehr in die afrikanische Dimension passte. Immer öfter wurden die Bivouacs (Nachtlager) neben Landestrips eingerichtet, Personal und Ersatzteile wurden eingeflogen, und die halbe Nacht ging es zu wie in Heathrow.

Das elitäre Theater geriet ins Visier großer und kleiner Warlords, mit vorerst diffusen Motiven. Erst war Algerien nicht mehr passierbar, Umwege über Marokko oder Libyen nützten auch nichts. Niger, Mali, alles viel zu gefährlich. Die Stadt Dakar im Senegal, als echtes Ziel, war für solche Unternehmen nicht mehr erreichbar. Dakar konnte nur als Symbol weiterleben - und das wurde vor vier Jahren nach Südamerika exportiert. In Argentinien, Chile, Peru gibt's genügend wüstes Gelände und offensichtlich Millionen Menschen, die ungetrübte Freude an dem Spektakel haben. Auch diesmal ist wieder Start Anfang Jänner in Buenos Aires, Ziel in Lima.


Scheitern am Erzberg.

Den alten Dakar-Aficionados ließ sich das Heimweh nach afrikanischen Pisten und Wüsten aber nicht austreiben, und so gab's 2009 ein Revival mit den Eckpunkten Paris und Dakar, genannt Africa Eco Race. Eco soll auf das geläuterte Bewusstein von Veranstaltern und Teilnehmern hinweisen, kein Fuzerl Müll darf übrigbleiben, lokale Projekte werden gefördert, alles soll im afrikanischen Augenmaß ablaufen. Die Sehnsucht nach der originalen Strecke muss natürlich unerfüllt bleiben, das ist politisch kein Thema. Drei Länder immerhin sind bereit, für Sicherheit zu sorgen: Marokko, Mauretanien und natürlich der Senegal selbst, der das meiste Interesse daran hat, Dakar wieder dort auffindbar zu machen, wo es immer war.

Ein Rest von Mulmigkeit bleibt, etwa für die Polisario-Region in der Westsahara. Mauretanien klingt am gefährlichsten, dafür gibt's die prächtigsten Dünen und dramatischsten Offroad-Strecken. Die abendlichen Zeltlager sind wohl ordentlich gesichert, hopefully. Über den sportlichen Anspruch der Strecke gibt es keine Zweifel, noch dazu für Motorräder. Extreme Schinderei auf Geröllpisten und Dünenfeldern, jeden Tag acht Stunden am Stück, mit trickreicher Navigation. Die Quälerei ist also wieder original Dakar. Start in Paris am 27. Dezember, Ziel Dakar 9. Jänner. Es sind ungefähr sechstausend Kilometer.

Faust'scher Intellekt

Gregor Bloéb spielte zuletzt "Sein oder Nichtsein" und "Jägerstätter" im Theater, den Sigismund für den Weißen Rössl-Film. Moretti stand zuletzt noch im "Weibsteufel" und im "Weiten Land" auf der Bühne, abgesehen vom Achillessehnenfilm. Nach der Rallye wird Moretti seinen Faust im Burgtheater wieder aufnehmen. Muss er da mit dem Textlernen von null wieder anfangen? Zwei Wochen auf einer KTM in der Wüste müssen doch jede Erinnerung an Faust'schen Intellekt auslöschen, oder? "Nein", sagt Moretti, "so eine Rallye ist die beste Konzentrationsschule der Welt, die hält dich im richtigen Adrenalinbereich". Durch die Beobachtung von sich selber finde man zur Abstraktion, sagt mein kluger Freund Tobias, das darf man allerdings nicht dem Kini flüstern, der tät sagen, so a Schmarrn. Abstraktion? Ab in die Düne!

Beim Erzberg-Rodeo wurden unsere beiden Helden von Kini zum ersten Mal ins Feuer geschickt, fahrtechnisch a Waunsinn, da kollert das Gebein nur so durch die Gegend. Aber halt nur Sprint. Kini war nicht unzufrieden, versprach aber, in den restlichen Monaten "Männer" aus den Jungs zu machen. Es geht nicht an, dass einer am Berg im Unterarm einen Krampf vom Gasmelken kriegt, was macht er dann in den Dünen?


Ernstfall Erzberg-Rodeo. Aus Brüdern sollten Männer werden. Naja. 

In diesen Tagen trainieren Bloéb und Moretti im Süden Marokkos, in der sagenhaften Wüstengegend rund um Zagora. Kini hat zwei Superstars der Branche als Lehrer aufgestellt: den Spanier Marc Coma und den Franzosen Cyril Despres, die so gut wie alles gewonnen haben, was es im Enduro-Rennsport gibt. Marc und Cyril werden ihnen die Finessen des beschleunigten Wüstenfahrens (durchaus 140 km/h auf steinigem Untergrund) und der trickreichen Dünen-Akrobatik beibringen. Ein kleines Beispiel ist der Umgang mit der Steilheit. Aufragendes Gelände verlangt Schub, aber in feinster Dosierung, gerade mal ein Prozent mehr als die Schwerpunkt-Schubkraft. Bei Vollgas würde das Hinterrad durchdrehen. Du musst dem Überlebensinstinkt Vollgas widerstehen - net ganz einfach, wennst in Panik bist.

Lernen müssen sie auch, wie man dieses afrikanische Gespür für Richtung und Passierbarkeit des Terrains bekommt, wenn da nur ein paar Anhaltspunkte für die Navigation auf dem Tageszettel des Veranstalters stehen. Exakte GPS-Marschrouten, die gibt's nicht mehr, das ist ja mittlerweile zu öd geworden. Die Maschinen unserer Freunde sind feinste Ware von KTM, des österreichischen Welt-Dominators auf diesem Feld. 450 Kubik, 60 PS, Gewicht 145 Kilo, plus 37 Liter im Tank. In ihrer Afrika-Auslegung eine schwere, wüde Maschin', ein ernsthaftes No-Bullshit-Gerät. Man kann diese komplette Version auch bei KTM im Laden kaufen: 33.600 Euro. 70 Stück pro Jahr gehen an die Hardcore-Zielgruppe in aller Welt.


Das Posing funktioniert bereits tadellos, nun wird in Marokko gearbeitet.

Es werden ungefähr 250 Teilnehmer am 27. Dezember in Paris losfahreen, Autos und Motorräder. Das Kinigadner-KTM-Team (über die Jahre von Red Bull unterstützt) wird einen Lkw und zwei Geländewagen im Tross haben, der auf halbwegs ziviliserten Abschneidern jeden Abend ans Etappenziel kommen sollte. Professionelles Service für die Motorräder, kräftigende Gemütsmassage vom Kini für Gregor und Tobias. Was der Kini sagt, ist Dogma, jedenfalls in der Wüste. In einem Begleitfahrzeug wird auch Hannes Kinigadner dabei sein.
Klar, Hannes.

Man muss diese Geschichte in ihrer glasklaren Selbstverständlichkeit erzählen, wie die handelnden Personen sie sehen. Heinz Kinigadner (also der Kini) war irgendwo in Deutschland, als sein Sohn Hannes mit 19 Jahren bei einem Benefiz-Motorcross verunglückte und in der Folge querschnittgelähmt blieb, bisher. Kini, über Jahrzehnte mit dem Motorrad verwachsen, sagte seinem Sohn, dass er erst an jenem Tag wieder auf ein Radl aufsteigen würde, an dem er das gemeinsam mit dem Hannes tun könne. Und er werde jeden Tag mit seinem Sohn verbringen, im Alltag, bei der Arbeit, auf Reisen von früh bis spät. 


Man ist zuversichtlich.

Das ist nun neun Jahre und drei Monate her, Kini ist keinen Meter Motorrad gefahren, hat mit Dietrich Mateschitz die Stiftung Wings for Life ins Leben gerufen, die helfen will, Rückenmarksverletzungen heilbar zu machen. Es gibt keine der vielen Kini-Reisen, in Europa, Amerika, Afrika, wo es zu kompliziert wäre, Hannes dabei zu haben, es funktioniert ganz selbstverständlich, die innere und äußere Statur des Kini macht alles möglich, und seine Mordstrummlackelstärke ist hilreich bei mancher Barriere für den Rollstuhl. Hannes hat längst seinen Job im Team gefunden, in der Logistik und im Design. Jetzt wird man ihn brauchen in Marokko und Mauretanien, und irgendwie ist das typisch für ein ganz besonderes Team, eine rare Gemeinschaft im internationalen Motorsport.

Heikle Frage

Da wäre noch eine Sache mit dem Tobias zu besprechen. Darf man ihm auch mit saublöden Fragen kommen, solchen, die ihm ganz sicher auf die Nerven gehen?
Moretti senkt das straffe Kinn ein klein wenig ab, die als stahlblau gerühmten Augen nehmen eine Schattierung ins Gütige an.
Aber ja doch. Wie haben sich Kommissar Rex, die TV-Staffel, der treuherzige Hundeblick, die fliegende Wurstsemmel, im mittleren Flusslauf eines Künstlerlebens abgelagert?
"Es ist ganz nett, wenn der Rex und ich irgendwo in einem Hotelzimmer beim Durchswitchen auftauchen, die Folgen werden ja noch immer auf der ganzen Welt rauf und runter gespielt. Das ist irgendwie lustig, sonst nix. Weit, weit weg."

Der aktuelle Hund auf dem Bergbauernhof heißt Puck. Er ist so witzig wie die meisten Bordercollies und gut ausgelastet. Ein Hund ist nur glücklich, wenn er arbeiten darf, sagt Moretti. Puck diszipliniert die Kühe am Hof und betreut die Gäste. Wenn ihm fad ist, hält er das Federvieh geschmeidig. Er hat noch nie eine Wurstsemmel gefangen. Er würde das grundsätzlich ablehnen, sagt Tobias. (Herbert Völker, RONDO mobil, 27.10.2012)