"Der Traum eines Fußballfans" (1953), eine musikalische Miniatur von Gerbert Rappaport.

Foto: Viennale

Ein bürgerliches Ehepaar verbringt den Sonntag in der behaglichen Wohnstube. Der Mann macht bei der Zeitungslektüre eine kleine abfällige Bemerkung. Aber nicht nur das sauertöpfische Dienstmädchen könnte diese unbedachte Äußerung publikmachen. Auch dem eigenen Sohn ist, seit er sich der Hitlerjugend angeschlossen hat, gar nicht mehr zu trauen.

Das Paar steigert sich in einen hysterischen Taumel, die Szene bekommt eine nahezu komische Note ("Kinder sind rachsüchtig!") und Slapstick-Akzente. Es wirkt fast, als würde der Film, der anhand von Fallbeispielen das Regime der Angst beschreibt, mit dem der Nationalsozialismus seit 1933 alle(s) überzieht, hier kurz einmal durchatmen. Schon in der nächsten Episode schlägt der Tonfall wieder dramatisch um, bevor das Finale dann mit Nachdruck die Wehrfähigkeit der russischen Landfrauen feiert.

Basierend auf Bertolt Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches wurde Die Mörder machen sich auf den Weg / Ubijcy vychodjat na dorogu 1942 von Vsevolod Pudovkin und Jurij Taric in der UdSSR gedreht. Er gelangte dann allerdings nicht in die Kinos - wohl weil sich "der Terror auch als Entlarvung der eigenen Verhältnisse" lesen ließ. Der Mann, der für die spätexpressionistischen Dekors der (mit Ausnahme der letzten Episode) im Studio und in Innenräumen gedrehten Produktion zuständig war, war der Österreicher Artur Berger.

Berger, 1892 in Wien geboren und 1981 in Moskau gestorben, ist einer der beiden "österreichischen Filmarbeiter in der Sowjetunion", denen seit mehreren Jahren ein umfangreiches gleichnamiges Forschungsprojekt gilt - und aktuell die Filmschau Wien - Moskau. Berger avancierte zunächst bei der Wiener Sascha-Film zum Architekten von legendären Monumentalfilmen wie Michael Kertész' Die Sklavenkönigin (1924). 1936 emigrierte er in die UdSSR, er konnte seinen Beruf dort weiter ausüben und arbeitete mit arrivierten Filmemachern wie Boris Barnet oder Pudovkin zusammen. Insgesamt wird von 27 Produktionen ausgegangen, an denen Berger in der Sowjetunion maßgeblich beteiligt war.

Bei Recherchen für ein Projekt zum proletarischen Kino (Viennale 2007) traf der Filmhistoriker Christian Dewald in Moskau auch einen dort lebenden Sohn Bergers und wurde auf das Filmwerk aufmerksam, das Berger nach seiner Emigration dort geschaffen hatte. Im Zuge der Forschungsarbeit, die nicht nur in russische Archive, sondern auch zu weiteren Nachfahren nach Tirol und Südengland führte, sei neben der Komplettierung der Werkbiografie zunehmend die Frage interessant geworden, "wie man in politischen Systemen des Terrors überleben kann" - der jüdische Neuankömmling habe auch während des Stalinismus in seinem Umfeld politische Verfolgung erlebt.

Vier der acht Programme der Schau sind dem Filmarchitekten Berger gewidmet, die übrigen stellen den Regisseur Gerbert Rappaport vor, einen gebürtigen Wiener, der anders als Berger ausschließlich in der Sowjetunion Filme inszenierte. Der bekannteste ist wohl sein Debüt Professor Mamlok (1938), das von der systematischen Demontage eines jüdischen Arztes erzählt. Bei der Viennale sind jedoch auch spätere Filme wie das Musical Ceremuski (Cherry Town, 1963) zu entdecken.

Die Kuratoren Dewald und Werner Michael Schwarz (Berger) beziehungsweise Olaf Möller und Barbara Wurm (Rappaport) werden die Programme jeweils einleiten. Zu beiden Filmschaffenden plant das Filmarchiv Austria Publikationen sowie DVD-Veröffentlichungen. Die Schau Wien - Moskau kann in diesem Sinne auch als ein Teaser für Zukünftiges gelten - Stoff für eine große Retrospektive hat man mit sämtlichen, rund 50 russischen Titeln beider Filmarbeiter genug. (Isabella Reicher, Spezial, DER STANDARD, 25./26.10.2012)