Installation mit "Problemware" von Mel Chin: Der Toaster verweigert sich darin ebenso wie seine Küchenkollegen aus den 1950erJahren.

Foto: Galerie Steinek

Wien - "Objekte zu schaffen oder Spuren zu hinterlassen hat auch mit Chancen und Entscheidungsmöglichkeiten zu tun", sagt der amerikanische Künstler Mel Chin. "Das sind die letzten Freiheiten, die uns geblieben sind. Diese zur Verfügung zu stellen ist eine Aufgabe von Kunst."

Die Freiheit der Rede ist es, die der 51-jährige Künstler in einer seiner jüngsten Arbeiten teilt: S-O-S. Reloaded heißt das 17-minütige Video, in dem Menschen der New Yorker Bronx zu Wort kommen. Im Jahr der amerikanischen Präsidentschaftswahlen sammelte Chin ihre Botschaften an Barack Obama: "Hör uns zu, wir sind das Volk!", mahnt ein Bürger den amtierenden Präsidenten, während ein anderer beteuert, er stünde trotz Kritik an Obamas Amtszeit 100 Prozent hinter ihm. Ein dunkelhäutiger Mann hofft auf Obamas Hilfe, das öffentliche Bild der Muslime zu korrigieren: "Muslime sind keine Fanatiker".

Soziale Themen wie Wohnen, Arbeit und Gesundheitsversorgung werden angesprochen. Während die Anliegen der Leute wie beim Nachrichtensender CNN als Textband über den Bildschirm laufen, wenden sie ihren Blick keine Sekunde von der Kamera ab. Aber nicht nur der direkte Blick in die Augen der Menschen macht die Videoarbeit intensiv, es ist auch ihr Ton: Chin hat ihren Herzschlag, quasi den Rhythmus des amerikanischen Volks, unter die Bilder gelegt.

Seit 35 Jahren widmet sich der Künstler und Aktivist, der oft an der Schnittstelle zur Wissenschaft arbeitet, sozialen, politischen und ökologischen Themen. Seit 1990 verfolgt Chin etwa das Work-in-Progress-Projekt Revival Field. Diese konzeptuelle Arbeit mit wissenschaftlichen Hintergründen beschäftigt sich mit Phytosanierung, also dem Reinigen kontaminierter Böden mithilfe von Pflanzen: Bei Revival Field saugen sie förmlich das Schwermetall aus der Erde. Dass die Belastung mit Schwermetallen an Industriestandorten wie Detroit oder New Orleans gesellschaftsgefährdend ist, ist Thema dreier Zeichnungen in Chins Ausstellung It's not, what you think in der Galerie Steinek.

Jüngste Studien zeigen, dass Schwermetalle nicht nur die mentale und emotionale Entwicklung stören, sondern auch unmittelbar in Verbindung mit Gewalt stehen.

Mit Porträts, etwa eines rücksichtslosen Firmensanierers mit dem Spitznamen Chainsaw und eines Mörders, verleiht Chin der zersetzenden Kraft von Umweltverschmutzung ein Gesicht.   (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 25./26.10.2012)