Spindelegger hat in seiner Rede zum Nationalfeiertag die österreichischen Sekundärtugenden gepriesen: Verlässlichkeit, Fleiß, der Wille, es zu etwas zu bringen. Er tat recht daran, einmal darauf hinzuweisen, dass irgendwer den Wohlstand (und damit die soziale Sicherheit) erhalten muss, indem er Dinge und Dienstleistungen produziert, die irgendwer haben will. Dass Österreich bisher relativ gut durch die Krise gekommen ist; dass es nach einer neuen Studie der Statistik Austria den Österreichern "gut" bis "sehr gut" geht, hat auch etwas mit dieser Mentalität zu tun. Spindelegger hätte freilich noch hinzufügen können/müssen, dass die allermeisten Migranten auch fleißig etc. sind und zum Wohlstand beitragen.

Damit hätte er nämlich auch die Kehrseite ansprechen können: eine gewisse Engstirnigkeit, ein gewisser Provinzialismus und die Neigung ziemlich vieler braver Österreicher, auf mehr oder weniger gefährliche Populisten hereinzufallen. Davon abgesehen, werden die Sekundärtugenden nicht ausreichen. Die politische Klasse hat ihren Gestaltungswillen an den Populismus abgegeben, genießt aber trotzdem kaum mehr Vertrauen. Geistige Zentren wie die Universitäten oder die Kirche fretten sich so dahin. Österreich stagniert auf hohem Niveau. Das Gefühl, dass plötzlich alles anders sein könnte , will nicht schwinden. Allerdings auch nicht die Zuversicht, dass wir uns doch irgendwie durchwurschteln. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 25./26.10.2012)