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Demonstration in Riga. Ein Nichtbürger zeigt seinen Pass.

Foto: Reuters

Ihrer Bezeichnung nach dürften sie eigentlich nicht existieren. Die 300.000 Nichtbürger in Lettland mit überwiegend russischen Wurzeln sind dennoch ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Gesellschaft. Eingewandert oder hier geboren während der Sowjetzeit, änderte sich ihr Status mit der Ausrufung der Unabhängigkeit Lettlands. Sie erhielten zwar das Aufenthaltsrecht jedoch keine Staatsbürgerschaft (weder die lettische noch die russische). Damit bleiben ihnen eine Reihe von Rechten gegenüber Letten und EU-Bürgern verwehrt. Auch 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion noch.

Widerstand gegen ihre Diskriminierung regt sich schon länger. Jetzt hat die Bewegung "Für gleiche Rechte" die nötige Anzahl an Unterschriften gesammelt, um auch staatlich gebilligte Unterstützungsunterschriften für ein Referendum einreichen zu können. Sollten die Anzahl von 153.000 erforderlichen Signaturen erreicht werden, werde die Letten in einem Referendum über die Zukunft der Nichtbürger abstimmen müssen. Ziel der Aktivisten ist, dass den Nichtbürgern automatisch die lettische Staatsbürgerschaft zuerkannt wird.

Einbürgerung als Provokation

Die Chancen für eine Verwirklichung sind jedoch gering. "Die Mehrheit der Letten hat kein Interesse daran", sagt der Arbeitsmarktexperte Mihails Hazans. Und jene, die von einer Aufhebung der derzeitigen Gesetze profitieren würden, dürfen gar nicht abstimmen. Nichtbürger sind vom politischen Leben in Lettland ausgeschlossen, sie dürfen weder wählen gehen, noch für ein politisches Amt kandidieren. Für die Polizei, das Militär oder als Staatsbediensteter zu arbeiten, ist ebenfalls nicht erlaubt. Im kleinen Lettland mit seinen knappen zwei Millionen Einwohnern würden die Nichtbürger bei voller Gleichstellung eine große politische Rolle spielen. Deshalb sehen lettische Politiker Initiativen für eine automatische Einbürgerung als Provokation.

Das lettische Außenministerium spricht jedoch schon vor einem Entscheid der zentralen Wahlkommission, ob für das Referendum Unterstützungsunterschriften gesammelt werden dürfen, davon, dass eine Änderung der Staatsbürgerschaftsgesetze verfassungsrechtliche Grundsätze und Lettlands Unabhängigkeit in Frage stellen würde. "Wenn allen Nichtbürgern automatisch die Staatsbürgerschaft zuerkannt wird, steht das in Widerspruch zur lettischen Position, dass wir kein Nachfolgestaat der Sowjetunion sind", sagt dazu der lettische Außenminister Rinkevics. Die Integration der Nichtbürger eignet sich hervorragend, um Stimmung zu machen. "Der Konflikt wurde in der Vergangenheit von allen politischen Seiten instrumentalisiert", erzählt der Journalist Ruben Martinez.

Sprachbarrieren für ältere Leute

Die Möglichkeit für Nicht-Bürger, die lettische Staatsbürgerschaft zu erhalten, besteht auch jetzt schon. Allerdings muss davor ein Sprachtest und ein Examen über die Geschichte und Kultur Lettlands abgelegt werden. Eine Hürde, die es für viele ältere Nichtbürger nicht wert ist, genommen zu werden, da Zeit und Geld in einen Sprachkurs gesteckt werden müssten. "Vor allem für ältere Menschen ist die Sprache eine große Barriere. Viele sind arbeitslos, weil sie nur Russisch beherrschen", sagt Hazans. Die junge Generation, die ohnehin perfekt Lettisch spricht, weigert sich hingegen aus ganz anderen Gründen, die Tests zu absolvieren. Die Mehrzahl ist enttäuscht, dass sie und ihre Eltern vom Staat nicht fair behandelt werden, und beantragt aus Trotz keine Staatsbürgerschaft.

Die Nachteile, die man als Nichtbürger hat, wirken sich auch auf die Mobilität aus. Seit Lettland 2008 von der Wirtschaftskrise heimgesucht wurde, verabschiedeten sich viele Bürger Richtung EU-Ausland. "Nichtbürger sind selten ausgewandert. Denn sie brauchen eine Arbeitserlaubnis, um in den EU-Staaten arbeiten zu können", berichtet Mihails Hazans. Die Emigration nach Russland gewinnt in den letzten Jahren hingegen wieder an Attraktivität.

Die verfahrene Situation in Lettland existiert seit dem Fall der Sowjetunion im Jahr 1991. Kurz davor fand ein Referendum über die Unabhängigkeit Lettlands statt. 74 Prozent der Teilnehmer sprachen sich damals für eine demokratische und unabhängige Republik Lettland aus, 25 Prozent dagegen. Auch ein signifikanter Prozentsatz der russischen Minderheit stimmte für die Abnabelung von der Sowjetunion. Dieser Konsens wurde allerdings nicht genutzt, um das Land dann auch verfassungsrechtlich zu einen.

"Trauma nicht überwunden"

Am 15. Oktober 1991 beschloss das lettische Parlament, die Staatsbürgerschaft nur jenen Einwohnern zu verleihen, deren Vorfahren schon vor 1940 im Staatsgebiet Lettlands beheimatet waren. Auch wenn dieser Passus ohne explizite ethnische Klauseln verabschiedet wurde, so war klar, dass die russische Minderheit stark davon betroffen sein würde und vom Erhalt der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen werde würde. Diese unerwartete Wendung – die regierende Partei hatte zuvor noch versprochen, allen Bewohnern die gleichen Rechte zu gewähren – fassten viele Nichtbürger als Verrat an ihnen auf. "Dieses moralische Trauma ist bis heute nicht überwunden", sagt Hazans. Bestimmungen für Neu-Einbürgerungen gab es drei Jahre lang keine, erst 1994 wurde ein strenges Gesetz verabschiedet, das junge Leute bevorzugte. Derzeit sind sogar EU-Bürger besser in den politischen Prozess integriert als Nichtbürger, haben sie doch schon nach einem halben Jahr Aufenthalt das Recht an Kommunalwahlen teilzunehmen oder Abgeordnete zu werden.

Eng mit dem Status der Nichtbürger ist auch der Sprachenstreit in Lettland verknüpft. Im Februar lehnte die lettische Bevölkerung in einem Referendum eindeutig ab, Russisch als zweite Amtssprache einzuführen. Es wird befürchtet, dass dadurch die lettische Sprache gefährdet werden könnte. Immerhin 56 Prozent der Letten sehen in einer Umfrage der University of Latvia die Existenz der lettischen Sprache und Kultur jetzt schon bedroht. Eine Angst, die eher unbegründet ist. "Die Anzahl an russischsprachigen Nichtbürgern schwindet ohnehin. Nicht wegen der Einbürgerungen sondern, weil diese Bevölkerungsgruppe extrem schnell altert", sagt Martinez. (Teresa Eder, derStandard.at, 4.11.2012)