Schlingel unter sich.

Foto: Gundi Mayerhofer

Die 18-köpfige Kinderjury.

Foto: Filmfestival Schlingel

Schokoflocken oder Vollkornbrot zum Frühstück? Ein Smartphone oder ein stinknormales Handy? Kleine Interessenkonflikte gehören zum Familienalltag und fordern manchmal gute Nerven von allen Familienmitgliedern.

Ein Reizthema ist in vielen Familien das Fernsehen. Die Geister scheiden sich an der Frage, was das geeignete TV-Programm für Kinder ist – und was eigentlich einen guten Kinderfilm ausmacht. Disney oder Bullerbü? Das fliegende Klassenzimmer? Klassische Märchenverfilmungen? Mit Schauspielern oder als Zeichentrickfilm animiert? Entweder-oder oder einfach alles zu seiner Zeit?

Kinder als Filmexperten

Über Inhalte und Qualität von Kinderfilmen wird seit 17 Jahren jeden Oktober beim Kinderfilmfestival Schlingel in Chemnitz diskutiert. Das Besondere neben der internationalen Ausrichtung: Hier haben Kinder aus ganz Europa ein entscheidendes Stimmrecht.

Dieses Jahr reisten 18 Kinder aus neun europäischen Ländern an, tauschten eine Woche lang Klassenzimmer mit Kinosaal und wählten als Kinderjury ihre Lieblingsfilme und -darsteller. Wenig verwunderlich weichen die Wertungen der Kinder jedes Mal ein wenig von den Ergebnissen der Erwachsenenjury ab.

Humor, Spannung, Tempo

So hob das junge Testpublikum heuer den neuseeländischen Film "Kiwi-Flitzer" als Highlight hervor, die Expertenjury dagegen hatte andere Filme favorisiert. Der Film von Regisseur Tony Simpson handelt von einem Seifenkistenrennen im beschaulichen neuseeländischen Städtchen Nelson. Und bringt viel mit, was sich Kinder von einem Film erwarten: jede Menge Humor, Spannung und Tempo.

Die erwachsenen Filmexperten und Medienpädagogen waren mit den Filmdialogen in "Kiwi-Flitzer" nicht so glücklich; sie merkten an, dass die Kinder darin den Tonfall von Erwachsenen hätten. Außerdem sei ein in der Handlung eingeführter Konflikt, nämlich der Tod des Vaters, am Ende nicht aufgelöst worden und habe die jungen Zuseher so mit offenem Ende zurückgelassen.

"Ein Problem pro Film ist genug"

Konflikte und schwierige Themen – wie viel davon verträgt ein guter Kinderfilm? "Nur nicht zu viele Probleme in einem Film", meint Flora, zwölf Jahre alt, aus Österreich. "Mir kommt es so vor, als ob es in jedem Film um Scheidung, den Tod des Großvaters, Mobbing und andere Konflikte geht", sagt sie. Paul, der gemeinsam mit Flora in der Kinderjury saß, stimmt zu: "Ein Problem pro Film ist für mich wirklich genug."

Zu wenig Action und der falsche Ton

Überfordern die Erwachsenen mit zu vielen Botschaften, Problemen und Anregungen zur Konfliktbewältigung die Kinder? Johanne aus Dänemark sagt dazu: "Erwachsene wollen, dass Kinder in Filmen nicht Angst bekommen, sondern glücklich werden. Wir Kinder sollen durch Filme lernen können, wie wir uns aus blöden Situationen befreien können, zum Beispiel wenn man in der Schule gehänselt wird."

Damit trifft die Zehnjährige ziemlich genau den Zugang der "Erwachsenen-Jurorin" Britta Wilkening-Barnsteiner: Sie sagt, dass man Probleme in einem Kinderfilm möglichst aus der Kinderperspektive erzählen sollte, damit die Kinder sich im Film wiederfinden. Kindern gehe schnell die Handlung verloren, wenn im Film zu wenig passiert. Das habe mit ihrer geringeren Aufmerksamkeitsspanne zu tun. "Wenn dauernd alle Kinder aufs Klo rennen, stimmt etwas nicht", drückt es die zwölfjährige Flora aus.

Vollmond und andere Poesie

Bei der Präsentation von "Alfi, der kleine Werwolf" musste kein Kind aufs Klo, im Saal war es mucksmäuschenstill. Der niederländische Film wurde unter 103 Beiträgen zum besten Kinderfilm 2012 gewählt. Es ist ein lustiger und spannender Film, der vom Anderssein handelt und durch eine leicht surreale Erzählung von der Verwandlung zum Werwolf in der Vollmondnacht für Kinder leicht nachzuempfinden ist. Auf "Alfi, der kleine Werwolf" konnten sich die kleinen und die großen Zuschauer einigen. Ein Film, bei dem alles stimmt.

Nur ein kleiner Teil der in Chemnitz prämierten Filme erscheint im Kino oder im Kinderfernsehen. Das ist das Dilemma des um Qualität bemühten Films: Man versucht, gute Kinderfilme zu produzieren, diese schaffen es aber oft nur bis zur Präsentation auf Filmfestivals.

FSK als einzige Orientierungshilfe?

Dabei könnten Festivalfilme und die Einschätzungen der Jury den Eltern eine Orientierung geben, welche Filme für Kinder sehenswert sind. Andere Hilfen sind rar und manchmal schwer nachvollziehbar: Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) legt zwar die Altersfreigaben für Filme fest, tut das aber eher im Sinn des Jugendschutzes und kümmert sich wenig um qualitative Einstufung und inhaltliche Empfehlung.

Es ist "nur ein Film"

Wie also im Erziehungsalltag damit umgehen? Ein Weg wäre es, Filme gemeinsam mit den Kindern anzusehen. Ein Ansatz, den auch "Schlingel"-Juror Paul favorisiert. Der Zwölfjährige mag den Nervenkitzel und das etwas unheimliche Gefühl, das spannende Filme bei ihm erzeugen. Manchmal sind das auch Filme, die der Altersbegrenzung nach eher für Jugendliche geeignet wären. Aber Paul liebt es einfach, "gemeinsam mit der Familie einen Film anzuschauen". Und dabei zu wissen, "dass es ja nur ein Film ist". (mayu, derStandard.at, 26.10.2012)