"Absolventen sind attraktiv genug", sagt Holzer.

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STANDARD: Warum haben gerade Geisteswissenschafter oft das Problem, den richtigen Job zu finden?

Holzer: Die Jobchancen sind gar nicht so schlecht. Aber im klassischen Weg zum Job, mit Ausschreibungen und Bewerbungen, ist der Markt für Kultur- und Geisteswissenschafter nicht so präsent wie für andere Berufe. Deshalb haben Absolventen auch ein weniger ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Wie groß die Berufschancen tatsächlich sind, wird von den Studierenden selbst äußerst unterschätzt.

STANDARD: Man hat den Eindruck dass Kultur- und Geisteswissenschafter als Billig-Absolventen behandelt werden.

Holzer: Das mag vor 20 oder 30 Jahren wirklich gegolten haben. Es hieß, die Geisteswissenschafter haben ein eingeschränktes Berufsfeld und viele Absolventen, daher sind sie billige Arbeitskräfte. Aber 2016 werden in Österreich insgesamt mehr Leute in Pension gehen, wie in den Arbeitsmarkt eintreten. In dieser Situation werden die Unternehmen ordentlich umdenken und vermehrt auf kultur- oder geisteswissenschaftliche Absolventen zurückgreifen. Im bisherigen Schubladendenken sind diese Absolventen in der offenen Wirtschaft viel zu kurz gekommen. Kann ein Philosoph eine Managementtätigkeit ausführen? Ich sage Ja. Aber das ist im klassischen Denken nicht drinnen. Das wird sich in Zukunft gewaltig ändern.

STANDARD: Wie müssen Unternehmen reagieren?

Holzer: In Zukunft wird es mehr darum gehen, Leute zu bekommen, die für ein gewisses Thema oder ein Produkt Begeisterung aufbringen, eine akademische Grundbildung haben und dann im Unternehmen selbst weitergebildet werden. Und da ist es egal, ob jemand von der Betriebswirtschaft, der Germanistik oder Geschichte kommt.

STANDARD: Inwiefern können Geisteswissenschafter mit zusätzlichen Weiterbildungen oder postgradualen Studien ihre Karrierechancen verbessern?

Holzer: Absolventen sind attraktiv genug für den Arbeitsmarkt. Erst recht, wenn sich eine Richtung abzeichnet, in die weitere Ausbildungen gehen. Es gibt auch Leute, die eine Ausbildung nach der anderen aneinanderreihen und dann doch nicht in den Job kommen. Das Stichwort des lebenslangen Lernens ist bekannt. Sie brauchen aber nicht vorlernen, um dann ein Leben lang in einem Beruf zu sein. Das war früher. Heutzutage erwerben sie eine Grundbildung, treten in die Wirtschaft ein und erwerben dann den Anforderungen entsprechend das neueste Know-how.

STANDARD: Was raten Sie als Coach Jung-Akademikern auf Jobsuche?

Holzer: Sich seinen Stärken bewusst zu sein. In meinen Workshops habe ich herausgefunden, dass viele ihr Studium nie als Bereicherung empfunden haben, sondern damit wenig anfangen können. Zweitens, sich Ziele zu schaffen. Zu schauen, wo ich eigentlich hinwill. Nicht zu sagen, ich möchte irgendeinen Job, sondern sich zu fragen, welcher Bereich mir besonders zusagt. Möchte ich in meinem Fach bleiben? Es geht nicht darum, aus allen Germanisten Marketing-Leute zu machen. Die Leute sollen durchaus in ihren Fächern bleiben.

STANDARD: Ist es die Pflicht der Absolventen, flexibler zu sein?

Holzer: Überhaupt nicht. Die Leute sollen in ihrem Bereich suchen, aber auch über den Tellerrand blicken. Sie werden in anderen Branchen auch fündig werden. Der dritte Punkt ist: Wenn sie sich in einen Bereich hineinbegeben, müssen sie sehr genau darüber Bescheid wissen. Dann kommt man mit den Firmen auf Augenhöhe ins Gespräch. Und viertens, sich stark von seinem Gefühl leiten zu lassen. Wir sind meistens kopfgesteuert, wenn wir aber einen Weg einschlagen und ein gutes Gefühl entwickeln, dann sind wir meistens auf einem guten Weg. Gar nicht lange überlegen.

STANDARD: Die meisten Stellen sind befristet oder Teilzeit. Erwartet ein Absolvent zu viel, wenn er auf einen unbefristeten Vollzeitjob aus ist?

Holzer: Nein. In den letzten Jahren ist die Mode am Arbeitsmarkt aufgetreten, dass junge Berufseinsteiger Job-Hopping betreiben. Gerade für Geistes- und Kulturwissenschafter wäre es eine Strategie, nicht auf Kurzfristigkeit, sondern auf Langfristigkeit zu setzen. Mit der akademischen Grundbildung muss man selbstbewusst am Markt auftreten und nicht nur in Unternehmen hineinschnuppern, sondern sagen: Ich habe vor, mehrere Jahre zu bleiben. Miteinander soll dann einen Ausbildungs- und Karriereplan entworfen werden. Das ist auch im Interesse der Firmen. Die Leute sollen sich nicht damit zufriedengeben, einen befristeten Teilzeitjob anzunehmen.

STANDARD: Machen Absolventen aus Verlegenheit ein Praktikum, weil sie glauben, sonst nicht unterzukommen?

Holzer: Leider hat sich die Praktik eingeschlichen, dass man die Praktikanten als billige Arbeitskräfte hernimmt. Das ist eine Unsitte. Aber Unternehmen profitieren von einem Praktikanten, und das muss auch bezahlt werden.

STANDARD: Würden Sie Absolventen raten, aus Prinzip kein Praktikum anzunehmen?

Holzer: Nein. Ich bin ein großer Verfechter von Praktika, weil man über ein Praktikum sehr gut in das Unternehmen hineinkommt. Ich warne allerdings davor, ein Praktikum an das andere zu reihen, um sich von einer Notlösung in die andere zu retten.

STANDARD: Absolventen müssen sich also selbst bewusst sein, was sie können und das nach außen tragen. Aber wie geht das?

Holzer: Man kann vier Dimensionen heranziehen. Was kann ich fachlich? Was methodisch? Was sind meine sozialen Fähigkeiten? Was ist in meinem Wertesystem? Es ist nicht einfach, das selbst zu reflektieren. Die Leute kommen ins Coaching, ich frage, was macht euch aus, und ich schreibe mit. In diesen vier Dimensionen entwirft sich ein Bild. Dann sitzen die Leute da und sagen: Ich habe gar nicht gewusst, dass ich so viel kann. (Stefanie Ruep, DER STANDARD, 27./28.10.2012)