Im Ring hat er alles erreicht, was es zu gewinnen gab: Witali Klitschko, der aktuelle Schwergewichtsweltmeister des Boxverbands WBC, gilt als einer der größten Boxer aller Zeiten. Doch mit 41 Jahren suchte sich Klitschko ein neues Betätigungsfeld für die Zeit nach der sportlichen Karriere und hat dieses in der ukrainischen Politik gefunden.

Mit seiner Partei „Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen", abgekürzt zum griffigen „Udar" (Punch, Schlag), hat Klitschko einen ordentlichen Wahlkampf hingelegt und wurde drittstärkste Kraft. Seine Schwäche, die politische Unerfahrenheit, machte der verheiratete Zweimetermann zum Trumpf: Seine Partei sei neu und unverbraucht und daher nicht von dem in der Ukraine allgegenwärtigen Korruptionsvirus befallen, wurde Klitschko nicht müde zu betonen.

Tatsächlich zeigte er sich für Millionen Menschen als ein neuer Hoffnungsträger. Viele Ukrainer, die nach den Hoffnungen und Enttäuschungen der sogenannten Orangen Revolution in eine politische Apathie verfallen waren, sehen in ihm die Chance einer politischen Erneuerung des Landes.

Noch wird Klitschko in seiner Heimat vor allem als Sportidol verehrt, doch er selbst träumt von einem anderen Ruhm: Irgendwann einmal werde in Kiew eine Straße nach ihm benannt, glaubt er - aber nicht wegen seiner sportlichen Erfolge, fügt er sogleich hinzu.

Ob ihm das gelingt, muss die Zeit zeigen. Politisch steht er für eine Annäherung der Ukraine an den Westen. Deutschland, wo er zu sportlichem Ruhm gelangte, nennt er seine zweite Heimat.

Die Standards, die er dort kennengelernt hat, will er auf die Ukraine übertragen. Nur so habe das Land eine Chance, sich aus Korruption und Freunderlwirtschaft zu befreien, sagt er. Diese Chance sei seine Motivation, sich in der Ukraine politisch zu engagieren.

Doch Klitschko werden auch andere Motive nachgesagt. Hartnäckig hält sich das Gerücht, der Boxer wolle in zwei Jahren Präsident Wiktor Janukowitsch bei den Präsidentenwahlen herausfordern. In Interviews lässt Klitschko diese Frage genauso unbeantwortet wie die nach einem endgültigen Rücktritt aus dem Boxsport.

Die Zurückhaltung ist verständlich: Die Politik ist neu und unbekannt und gilt gerade in der Ukraine als Schlangengrube. Der Sport öffnet Klitschko eine Rückzugstür, sollten sich die Gegner in der politischen Arena als zu schwer erweisen. (André Ballin, DER STANDARD, 29.10.2012)