Michael Lonsdale (li.) und Ricardo Trepa in Manoel de Oliveiras Kammerspiel "O Gebo e a sombra" / "Gebo und der Schatten".

Foto: Viennale

Isabella Reicher traf den Schauspieler zum Gespräch.

STANDARD: "O Gebo e a sombra" ist Ihre erste Zusammenarbeit mit dem portugiesischen Filmveteranen Manoel de Oliveira. Wie ist sie zustande gekommen?

Michael Lonsdale: Er wollte eigentlich Michel Piccoli besetzen, aber der war verhindert. Ich weiß nicht, wer mich empfohlen hat, Oliveira kannte wohl einige meiner Filme und hat mich gefragt.

STANDARD: Was für eine Art Regisseur ist Oliveira - mit seinen inzwischen 103 Jahren?

Lonsdale: Sehr einfach, sehr ruhig. Er kann nicht so laut sprechen, man muss also zu ihm gehen, wenn er mit einem reden will. Er hat ein paar Aufnahmen mit mir gemacht, damit war er zufrieden und meinte, ich solle tun, wie ich glaube, weil ich ohnehin besser wisse, was zu tun sei. Er hat sich mehr mit den Bewegungen im Raum, mit Blickrichtungen, Details für die Kamera beschäftigt.

STANDARD: Der Film, ein reduziertes Melodram mit gerade einmal sechs Figuren, basiert auf einem Theaterstück von 1923. Auch die filmische Inszenierung hat etwas Bühnenhaftes ...

Lonsdale: ... ja, es gibt nur eine Dekoration und ein paar Dinge, die sich vor den Fenstern auf der Straße abspielen. Wir sind fast immer am selben Tisch gesessen.

STANDARD: War das eine ungewöhnliche Erfahrung?

Lonsdale: Ungewöhnlich, ja. Ich schätze Oliveira sehr. Seine Arbeit hat ihn weder unermesslich reich noch unermesslich berühmt gemacht, aber er macht wahrhaftes Autorenkino. Er dreht immerhin seit 1931, als das Kino gerade zu sprechen lernte. Das ist doch unglaublich!

STANDARD: Was bedeutet das für Ihr Spiel, wenn Dialoge und Geschehen nicht in lauter kleinen Einheiten aufgenommen werden?

Lonsdale: Je mehr ich spiele, je mehr Filme ich drehe, desto mehr Spaß macht es mir. Viele Leute klagen ja, wenn sie einmal 80 sind, ach, ich bin zu alt, nichts ist mehr wie früher. Natürlich! Am Anfang meiner Laufbahn war ich sehr schüchtern, ängstlich, ob ich wohl alles richtig mache - puh, das war ein langer Kampf! Aber meine Lehrerin hat damals schon gesagt: Bevor man keine dreißig ist, macht man nichts Interessantes.

STANDARD: Die kleinen Eigenheiten der Titelfigur Gebo - haben Sie die entwickelt? Dieses fast singende Sprechen?

Lonsdale: Ja. Ich bereite nichts groß vor, ich bin ein Instinktwesen. Das ist mir einfach eingefallen und hat sich richtig angefühlt.

STANDARD: Sie sind aber kein Method Actor?

Lonsdale: Nein. Meine Methode ist, keine Methode zu haben. Das Actors Studio ist großartig, es hat viele tolle Leute hervorgebracht - James Dean, Marlon Brando, Marilyn Monroe. Aber irgendwie ist es auch vorbei. Das geht ja alles auf Stanislawski zurück, er war der Erfinder dieses Zugangs.

STANDARD: Welchen Background hatte Ihre Schauspiellehrerin Tanja Balachowa? War das auch ein psychologischer Zugang, den sie vermittelte?

Lonsdale: In der Schule habe ich immer komische, leichte Sachen gespielt. Irgendwann hat Tanja gesagt: Ich möchte sehen, wie du etwas anderes, Schwierigeres spielst, und sie hat mich eine entsprechende Szene einstudieren lassen. Als ich es dann vorgeführt habe, hat sie gesagt, das ist ja ganz schön, aber das ist nicht diese bösartige Figur. Ich habe es wieder versucht. Nichts. Ich konnte es nicht, hasste Gewalt, schon als Kind, wollte mich nie schlagen. Sie hat dann etwas sehr Einfaches und Klares gesagt: Wenn du mir das nicht zeigen kannst, dann bist du kein Schauspieler, und ich kann dich nicht an der Schule behalten.

Unter diesem Eindruck habe ich die Szene ein letztes Mal gespielt, plötzlich nach einem Sessel gegriffen und ihn - bumm - zu Boden geschleudert, ein Bein ist abgebrochen, und ich habe geschrien. Sie hat gesagt: Siehst du, du kannst auch gewalttätig sein. Den Sessel musst du reparieren.

STANDARD: Im Rückblick auf Ihre Karriere kann man sehen, dass Sie das mit der Vielseitigkeit beherzigt haben: Sie haben einen Bond-Film gedreht, Komödien, mit intellektuellen Filmemachern gearbeitet.

Lonsdale: Mir hat die englische Schule immer sehr gefallen - nehmen Sie Laurence Olivier: Er hat an einem Tag Shakespeare gespielt und am nächsten im dümmsten, kleinsten, unerheblichsten Stück, nur weil ihn die Rolle interessierte. In Frankreich hingegen, wo ich zuerst am rechten Seine-Ufer Komödien gemacht habe und dann ans linke Ufer gewechselt bin, zu Beckett, Duras, Ionesco, hat das für größte Verstörung gesorgt - zumal ich dann ans rechte Ufer zurück bin und nur gesagt habe, lasst mich doch alle in Ruhe.

Aber sie stecken einen gern in Schubladen in Frankreich, das ist ärgerlich. Nachdem ich Der Schakal mit Fred Zinnemann gedreht hatte, habe ich drei Jahre nur Polizisten gespielt. Nach Der Name der Rose sind die Priesterrollen gekommen - sechs, sieben oder acht. Sie denken sich, das hat er gut gemacht, fragen wir ihn doch auch.

STANDARD: Sehen Sie in "Gebo ..." auch Gegenwartsbezüge?

Lonsdale: Abgesehen davon, dass es auch heute junge Männer gibt, die ihren Eltern Sorgen machen, eigentlich nicht. Aber das gefällt mir ja gerade, dass es unzeitgemäß ist. Oliveira ist ein tiefgründiger Mann, das mag ich an ihm. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 29.10.2012)