Birgit Minichmayr deutet die Titelfigur als kühl kalkulierende Intrigantin.
Eine karge Bühne, ein offener, ins Dunkle reichender Raum, eine Tür, ein Haufen Stühle und ein paar gute Schauspieler. So ist es das Münchner Residenztheaterpublikum gewöhnt, und so hat Martin Kusej ihnen nun Hedda Gabler vorgesetzt: als klares Schauspielertheater.
Man könnte daraus schließen, dass der Kärntner, der den Münchnern vor einem Jahr eine wahre "Sturmflut" an Neuerungen angekündigt, mit seinem Premierenoverkill bisher vor allem aber für ein leeres Haus gesorgt hat, mit dem Rücken zur Wand steht. Nicholas Ofczarek hat sich nach Wien abgesetzt und Birgit Minichmayr, was ihre nähere Zukunft betrifft, alles offengelassen.
Nun also Hedda Gabler von Henrik Ibsen. 1891 wurde das Stück in München uraufgeführt, wenige Autoren haben die Lebenslügen der im Korsett ihrer Konventionen erstarrten Bürgergesellschaft und den Kampf der Geschlechter so messerscharf seziert wie der norwegische Autor. Kusej unterstreicht dessen analytische Schärfe durch sparsame Regie und eine auf zwei Stunden gekürzte Fassung. Die Szenen wirken wie Versuchsanordnungen, die Figuren - in historischen Kostümen! - treten aus dem Nichts auf die Bühne, verweilen dort, gehen ab.
Doch nicht so sehr Ibsens psychologische Vielschichtigkeit, sondern seine präzisen Dialoge, in denen jeder Satz zur Waffe wird, stehen hier im Zentrum. Heddas Ehe mit dem blassen Kulturwissenschafter Jorgen Tesman ist unglücklich. Die schöne Villa, das versprochene Reitpferd, die künftigen Soireen - alles ein Deal, den Hedda dennoch von Anfang an ebenso verachtet wie sich selbst. Der einzige Zeitvertreib, den sie zu schätzen scheint, sind ihre von General Gabler ererbten Pistolen.
Die innere Leere
Da taucht unerwartet Thea Elvsted auf, eine frühere Freundin Tesmans, sie hat ihre Ehe verlassen, um Ejlert Lovborg in die Stadt zu folgen. Lovborg, Jorgen Tesmans größter Konkurrent und Exvertrauter Heddas, hat unter Theas Aufsicht dem Alkohol entsagt und ein Buch über die Zukunft geschrieben. Hedda wird - aus Langweile, innerer Leere oder doch einfach nur aus Spiellust - Theas Vertrauen missbrauchen, Lovborg zurück in den Alkohol und dann in den Selbstmord treiben, sein Manuskript verbrennen und sich schließlich selbst erschießen. Jorgen Tesman wird von Norman Hacker als um seinen Aufstieg bangender Bildungsbürger treffsicher gespielt. Hanna Scheibe als Thea ist so jämmerlich in ihrer sorgenden Hingabe, dass sie stets einfach nur angerempelt und umgeschmissen wird, ob von Hedda oder Lovborg.
Sich für jemanden aufzuopfern ist keine Lösung und auch keine Emanzipation, selbst wenn das im 19. Jahrhundert und bei Ibsen noch so gemeint war. Oliver Nägele gibt einen so schmierigen wie gierigen Richter Brack, dessen Gemeinheit mit seiner Körperfülle vortrefflich harmoniert, als er Hedda erotisch bedrängt und so zum destruktiven Befreiungsschlag treibt.
Birgit Minichmayrs Hedda ist kalt, unsinnlich, in sich verschlossen. Eine Frau, die zwischen Männern intrigiert. Diese Hedda ist anders, lehnt alles Weibliche, Sinnliche, ja alles Sexuelle ab. Sie liebt die Männer definitiv nicht, sie liebt überhaupt nicht, für sie ist Liebe bloß ein "klebriges Wort". Wie eine Spinne zieht sie sich stets auf den Berg aus Stühlen zurück, weiß leuchtet ihre Bluse, während sie lauernd abwartet, wie sich ihre Opfer unausweichlich verstricken.
Wie sie ihre Aggressionen mit beiden, über dem Körper verschränkten Armen festhält, wie ihr vor ihrer eigenen Passivität graut, ist überzeugend. Den Schmerz und die Verzweiflung, die auch in der Figur stecken, deutet sie freilich nur an. Als sich der gequälte Lovborg nicht nach ihrer Regie - in die Schläfe oder allenthalben in die Brust - erschießt, sondern im Bordell und durch einen entehrenden Schuss in den Unterleib ums Leben kommt, tickt sie kurz aus, ein erstickendes Gekreische nur, so sehr sind Heddas Gefühle unterdrückt.
Dann der Exit. "Sie hat sich erschossen", sagt Tesman, während er weiter die
auf dem Boden verstreuten Papiere ordnet - Lovborgs Notizen, ein Vermächtnis,
das die ganze kraftlose Existenz bürgerlicher Bemühungen noch einmal in einem
Bild zusammenfasst. (Monika Czernin, DER STANDARD, 30.10.12)