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Die prognostizierte Bahn von Hurrikan "Sandy".

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Nachher: In Santiago de Cuba hinterließ der Wirbelsturm Sandy ein Trümmerfeld.

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Vorher: In New York sorgte die Warnung vor Sandy für Hamsterkäufe.

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Es gibt Menschen wie Mike Strawley, deren Nervenkostüm auch die düsterste Wetterprognose nichts anhaben kann. Strawleys Bar The Bearded Clam liegt in Ocean City direkt an der Atlantikküste, ziemlich genau an der Route, die der Hurrikan Sandy auf seinem Weg nach Norden nehmen sollte. Das ändert nichts an der stoischen Ruhe des Besitzers - sei sie auch nur gut gespielt. Zwar hat Strawley die Fenster seiner Kneipe mit Sperrholzplatten vernagelt, damit der Wind die Scheiben nicht eindrücken kann, zwar hat er sein Auto auf höheres Gelände gefahren, aber gegen alle Warnungen entschied er sich, Sandy in Ocean City auszusitzen. "Schaust du eben zu, wie alles nass wird."

"Frankenstorm", nach Frankenstein und Sturm, haben amerikanische Meteorologen das Phänomen getauft, das 60 Millionen Bewohner der Ostküste tagelang ins Chaos zu stürzen droht. Während Sandy von Süden heranzieht, mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 135 Stundenkilometern, liegen im Westen und Norden zwei Kaltfronten, die verhindern, dass Sandy die übliche Kurve beschreiben kann. Normalerweise driftet ein Tropensturm von der Küste weg nach Osten, wo er über den kälteren Gewässern des Atlantiks an Kraft verliert. Sandy hingegen wird wegen der Kaltfronten in Richtung Küste gedrückt (siehe Wissen). Irgendwo zwischen Delaware und Long Island, lauteten die aktuellsten Prognosen, würde der Tropensturm aufs Festland prallen, auf dichtbesiedeltes Gebiet mit Großstädten wie New York, Philadelphia und Washington.

Evakuierungen in Manhattan

In New York ordnete Bürgermeister Michael Bloomberg an, die besonders gefährdeten Küstenstreifen im Süden Brooklyns und im Osten Manhattans evakuieren zu lassen. Betroffen waren etwa 375.000 Menschen, wobei zunächst unklar war, wie viele die Order befolgten. Als im August 2011 mit dem Hurrikan Irene ein Desaster drohte, hatte Bloomberg die Bewohner weiter Stadtgebiete schon einmal zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgefordert. Dass Irene dann weitaus schwächer als befürchtet über New York hinwegzog, erklärt nun manches Abwinken im Falle Sandys.

Der öffentliche Nahverkehr der Megacity ist indes praktisch zum Erliegen gekommen. Seit Sonntagabend fahren weder U-Bahnen noch Busse noch Vorortzüge. Tausende Flüge wurden gestrichen, auch die AUA hat alle Montagflüge an die Ostküste abgesagt. Die Börse an der Wall Street legte eine Zwangspause ein, andere Handelsplätze im Land folgten. Präsident Barack Obama unterbrach den Wahlkampf, um sich dem Krisenmanagement widmen zu können.

"Seid nicht blöd. Raus mit euch, seht zu, dass ihr höhergelegenen Boden erreicht!" Auch Chris Christie, der burschikose Gouverneur New Jerseys, rief die Bürger seines Bundesstaats auf, nur ja nicht Vabanque zu spielen. Die Vorhersagen seien zu eindeutig, als dass man auf glückliche Zufälle hoffen sollte. In Washington goss es seit der Nacht wie aus Kannen. Anwohner dichteten Kellerfenster und Türen mit Sandsäcken ab. Bei Walmart waren die Notstromaggregate schnell ausverkauft. In den Supermärkten standen die Kunden Schlange, um sich für den Fall einzudecken, dass Strom, Gas und Wasser ausfallen. Konserven, Batterien, Taschenlampen und Mineralwasser waren schnell ausverkauft.

Karibik: Schwere Schäden

Hurrikan Sandy könnte auch die Versicherungsbranche teuer zu stehen kommen. Die verursachten Kosten könnten sogar höher ausfallen als beim Hurrikan Katrina im Jahr 2005, warnten Analysten der Zürcher Kantonalbank. Die Versicherungsschäden damals betrugen 72 Milliarden US-Dollar (55,1 Milliarden Euro nach heutigem Kurs).

In der Karibik hat Sandy in den vergangenen Tagen bereits enorme Schäden angerichtet. Am schwersten betroffen waren Haiti, Kuba, Jamaika und die Bahamas. Mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 140 Kilometern pro Stunde peitschte der Hurrikan am vergangenen Freitag über die Inseln, wirbelte Dächer von Häusern, warf Bäume um und legte Stromnetze lahm. In Port-au-Prince starben vier Kinder bei einem Hauseinsturz, mehr als 10. 000 Menschen sind allein auf Haiti erneut obdachlos geworden. Bis Montag wurden von den Behörden insgesamt mindestens 66 Tote in der Karibik gemeldet. Die Zahl der Vermissten geht in die Hunderte, darunter auch sieben französische Urlauber, die mit einer Freizeityacht zwischen den Inseln Martinique und Dominica unterwegs waren. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 30.10.2012)