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Eine musikalische Ausbildung geht mit einer erhöhten Wahrnehmungsfähigkeit von emotionalen sprachlichen Ausdrücken einher.
Emotionale Kommunikation ist grundlegend für soziale Interaktionen. Vor allem durch Musik können Emotionen effektiv ausgedrückt werden. Auch durch Sprache und die Sprechweise werden unterschiedliche Emotionen, beispielsweise durch Veränderung der Tonhöhe, des Sprechtempos oder der Lautstärke (Prosodie), kommuniziert.
Manuela Marin, Systematische Musikwissenschafterin und Musikpsychologin an der Universität Wien, hat in einem Team unter der Leitung von Lauren Stewart, University of London, erstmals die emotionale Prosodie-Wahrnehmung bei Menschen mit angeborenen Defiziten in der Musikwahrnehmung untersucht. Die Ergebnisse erscheinen in der Early Edition der renommierten Fachzeitschrift PNAS.
Emotionen werden in verbalen Interaktionen durch Prosodie - unabhängig vom semantischen Inhalt oder der grammatikalischen Struktur einer Aussage - kommuniziert. Dieser emotionale Aspekt der Prosodie wird daher als die "musikalische Qualität" von Sprache bezeichnet. "Wissenschaftliche Befunde haben gezeigt, dass spezifische Emotionen in der Sprache und der Musik mit ähnlichen akustischen Merkmalen ausgedrückt werden. Das ist ein Hinweis auf mögliche überlappende neuronale Netzwerke der emotionalen Sprach- und Musikverarbeitung", so Manuela Marin, Co-Autorin der Studie und seit 2011 am Institut für psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden der Universität Wien tätig.
Es gibt unterschiedliche Theorien zum Ursprung von Sprache und Musik: Eine davon besagt, dass es eine gemeinsame emotionale "musikalische" Protosprache gab. Das deutet auf einen Zusammenhang zwischen Musikwahrnehmung und emotionaler Prosodie-Wahrnehmung hin. Neuere Studien haben gezeigt, dass musikalische Ausbildung mit einer erhöhten Wahrnehmungsfähigkeit von emotionalen sprachlichen Ausdrücken einhergeht: Musiker konnten besser beurteilen, ob sprachliche Äußerungen - unabhängig vom semantischen Inhalt - Emotionen wie Freude, Furcht oder Traurigkeit ausdrücken.
Verminderte Wahrnehmung von Emotionen in der Sprache
William Forde Thompson, Erstautor der Studie und Psychologe an der Macquarie University in Sydney, Australien, hatte die Idee, den Zusammenhang zwischen Musik- und emotionaler Prosodie-Wahrnehmung bei einer Gruppe von Menschen mit angeborenen Defiziten in der Musikverarbeitung zu untersuchen. Angeborene Amusie, sogenannte "congenital amusia", ist eine seltene neuronale Funktionsstörung, wobei vor allem Veränderungen der Tonhöhe von akustischen Signalen nicht richtig wahrgenommen werden können. Betroffene haben in der Regel Schwierigkeiten, richtig zu singen, Fehler in Melodien zu erkennen oder bekannte Melodien wiederzuerkennen. Die Diagnose wird durch standardisierte Testverfahren erstellt. Menschen, die kein musikalisches Gehör haben, leiden in den meisten Fällen nicht an angeborener Amusie.
Weltweit gibt es nur wenige Forschungsgruppen, die sich mit angeborener Amusie befassen. Eine davon befindet sich am Goldsmiths College, University of London und wird von Lauren Stewart geleitet. Im Team mit William Forde Thompson und Manuela Marin gelang es erstmals nachzuweisen, dass Menschen mit angeborener Amusie eine verminderte Fähigkeit haben, durch Prosodie ausgedrückte Emotionen wahrzunehmen.
In der aktuellen Studie wurden den Probanden Sätze präsentiert, die einen neutralen semantischen Inhalt hatten, sich aber in den sprachlichen Eigenschaften grundlegend unterschieden. Die Sätze drückten entweder Freude, Zärtlichkeit, Furcht, Traurigkeit, Ärger oder keine Emotion aus. "Die Probanden hatten die Emotion, die am besten zum emotionalen Ausdruck des Satzes passte, zu wählen. Dabei stellten wir fest, dass die Amusie-Gruppe deutlich schlechter abschnitt als die Kontrollgruppe. Es zeigte sich außerdem, dass die Amusie-Gruppe im Alltag Schwierigkeiten hat, Emotionen der Sprache effektiv wahrzunehmen, was aber wahrscheinlich durch die Interpretation des emotionalen Gesichtsausdruckes und Gestik sowie durch den Kontext meist nicht sehr ins Gewicht fällt. Diese empirischen Befunde nähren Spekulationen über einen gemeinsamen Ursprung von Sprache und Musik", erklärt Musikpsychologin Manuela Marin abschließend. (red, derStandard.at, 30.10.2012)