Auf dem ersten "Sanierungstag" von Wirtschafts- und Architektenkammer ging es am Dienstag um Anforderungen und Möglichkeiten, was die Erfüllung diverser Energieeffizienz-Vorgaben im Wohngebäudebereich betrifft. Im Fokus stand dabei aber auch eine "politische" Sanierung, um die derzeit gerungen wird: Die Zweckwidmung der Wohnbaufördermittel in den Bundesländern, 2008 endgültig abgeschafft, müsse wieder her - darüber herrschte unter den mehr als hundert anwesenden Branchenvertretern nahezu Einigkeit.
"Wir sind den Steuerzahlern die Rechtfertigung schuldig, dass diese Gelder zweckmäßig verwendet werden", betonte Gastredner WKÖ-Präsident Christoph Leitl. Dabei geht es um rund 850 Millionen Euro, die jedes Jahr vom Bund an die Länder überwiesen werden. Die Länder können dieses Geld seit 2008 auch für wohnbau-fremde Zwecke verwenden - "von der Sozialhilfe bis zum Fußballstadion", kritisierte Stefan Schleicher, Ökonom und Klimaexperten von der Uni Graz.
Zweckwidmung soll wieder her
Die Front der Befürworter einer Wiedereinführung ist mittlerweile sehr breit, und zwar auch innerhalb der Regierungsparteien. Die SPÖ ist zumindest auf Bundesebene ohnehin dafür, und auch in der ÖVP sind mit Leitl und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner zwei gewichtige Fürsprecher vorhanden.
Leitl betonte am Dienstag, dass er zwar bekanntermaßen stets für die Senkung der Lohnnebenkosten eintrete. Bei der Wohnbauförderung, die sich aus Löhnen und Gehältern speist (ein Prozent der Lohn- bzw. Gehaltssumme, zu gleichen Teilen von Arbeitgeber und -nehmer bezahlt) sei das aber etwas anderes: Diese sei schlicht notwendig, und es sei auch nötig, dass sie zweckgemäß verwendet werde. "Wenn diese Mittel missbräuchlich verwendet werden, dann habe ich auch keine Verteidigung mehr dafür", fand Leitl deutliche Worte.
Sanierungsscheck: Aufstockung wird überlegt
Missverständlicher bzw. etwas übereilt war da schon eine andere Äußerung des WKÖ-Präsidenten. Auf der morgendlichen Pressekonferenz vor Beginn des "Sanierungstags" stellte er eine Aufstockung der Bundesmittel für die thermische Sanierung (den sogenannten "Sanierungsscheck") von 100 auf 300 Millionen Euro jährlich als quasi fix hin. Mitterlehner habe das schon angekündigt, und das werde die Sanierungsrate in Österreich enorm voranbringen, so Leitl.
Aus dem Ministerium hieß es dazu auf Anfrage von derStandard.at dann allerdings, dass der WKÖ-Chef hier wohl eine bloße Idee des Ministers, die noch dazu ein halbes Jahr alt sei, zitiert habe. Das Ganze sei weder aktuell und schon gar nicht fix vereinbart, lediglich eine Überlegung im Ministerium.
Regierungsklausur zum Thema Wohnen
Realität könnte das Ganze trotzdem werden, nämlich dann, wenn die Regierung auf ihrer Klausur am 9. November zu dem Schluss kommt, dass die Förderung der thermischen Sanierung privater Wohngebäude nicht die schlechteste Idee ist. Vorerst ist der "Sanierungsscheck" bis 2014 mit jährlich 100 Millionen Euro dotiert, mehr Geld wäre nicht nur für Leitl wünschenswert. Mit der aktuellen Sanierungsquote von maximal 1,5 Prozent werde es viele Jahrzehnte dauern, bis jede der 2,2 Millionen sanierungsbedürftigen Wohneinheiten (der allergrößte Teil davon Einfamilienhäuser aus den 50er- bis 70er-Jahren) energetisch auf Vordermann gebracht worden ist.
Wohnbau-Expertin Margarete Czerny rechnete vor, dass die 100 Millionen Euro 2011 rund 860 Millionen Euro an Gesamtinvestitionen auslösten, bei 300 Millionen könnten das künftig 2,2 Milliarden Euro sein. Mehr als 200 Millionen Euro flossen 2011 an Steuern wieder zurück zum Bund, die Förderung war und ist also ein gutes Geschäft für die Finanzministerin (auch wenn die Gelder seit dem Vorjahr eher schleppend beantragt werden).
Strategiepapier, um Fekter ins Boot zu holen
Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) ist es auch, die es auf der Regierungsklausur in erster Linie zu überzeugen gilt. Wie berichtet, hat die Initiative "Umwelt + Bauen" dazu ein Strategiepapier namens "Wohnen 2020" erarbeitet, das im Kern die Wiedereinführung der Zweckwidmung der Wohnbaufördermittel enthält, neben zahlreichen weiteren Empfehlungen an die Regierung. Ein Pensionsfonds-Modell zur alternativen zusätzlichen Finanzierung des Wohnbaus kommt darin beispielsweise ebenfalls vor.
Eine Endfassung des Papiers liegt noch nicht vor, soll aber noch im November öffentlich präsentiert werden. Dem Wirtschaftsminister wurde es bereits vorgestellt, er soll sich dem Vernehmen nach sehr wohlwollend dazu geäußert haben. Nun soll das Papier auch auf der Regierungsklausur diskutiert werden.
Die Initiative "Umwelt + Bauen" gibt sich betont überparteilich, es finden sich Vertreter aus beiden Regierungsparteilagern darin. Sprecher ist der Bau-Holz-Gewerkschafter und SP-Nationalrat Josef Muchitsch, es sind aber auch maßgebliche Vertreter der Wirtschaftskammer, etwa der Bundesinnungsmeister Bau, Hans-Werner Frömmel, mit im Boot.
"Bedarfsorientierung" als Schlagwort
Frömmel umriss jüngst auf einer Wohnbau-Enquete gemeinsam mit Wohnbauforscher Wolfgang Amann ein paar Eckpunkte der verlangten Neuausrichtung der gesamten Wohnbauförderung. Neben der Wiedereinführung der Zweckwidmung sei die "Bedarfsorientierung" ein wichtiger Aspekt. "Früher mussten die Länder die Wohnbaufördermittel des Bundes verbauen - auch wenn sie gar keinen Bedarf hatten", so Frömmel. Auf diese Weise seien Wohnbauten in Gegenden entstanden, wo man sie eigentlich nicht brauchte - ein Umstand, den auch Muchitsch vor wenigen Wochen im derStandard.at-Interview scharf kritisierte.
Weil die Verwendung der Mittel eben "zwingend vorgeschrieben" war, machten die Länder sukzessive ein paar Hintertürchen auf, sagte Amann - und betonte, dass künftig - sollte es zur Wiedereinführung der Zweckwidmung kommen - "nicht die Ausgaben verpflichtend vorgeschrieben werden sollten, sondern das Ziel, für ausreichend Wohnraum zu sorgen".
Mehr Wohnfläche, oder weniger?
Um den ausreichenden Wohnraum in Österreich macht sich auch Ökonom Schleicher Sorgen. Laut der im vergangenen Jahr publizierten OECD-Studie "How's Life?" stehe die Alpenrepublik unterdurchschnittlich da, was die Wohnfläche pro Person betreffe. Österreich müsse sich hier aber mehr an Deutschland orientieren als etwa an Rumänien, so der Forscher am Dienstag. Er verwies darauf, dass es eine "vorschnelle Antwort" sein könnte, kompakter zu bauen. Der Trend zum "Home Office" werde nämlich stärker, die Menschen werden künftig mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen. "Manche Unternehmen ermutigen ihre Mitarbeiter schon dazu, einen Tag pro Woche zuhause zu bleiben."
Michael Pech, Vorstand des Bauträgers ÖSW, widersprach dieser Ansicht aber. Derzeit müsse die Leistbarkeit im Zentrum stehen, sagte er, "die Leute können sich das Mehr an Quadratmetern nicht mehr leisten". Man müsse vielmehr danach trachten, mit dem vorhandenen Wohnraum besser auszukommen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 31.10.2012)