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Die USA profitieren von riesigen Schiefergasfunden. Protest dagegen gibt es freilich auch genug. Schließlich steht es im Verdacht, das Grundwasser zu schädigen.

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Weil sich die USA von Energieimporten immer mehr freispielen können, fällt ein Grund weg, bei einer Krise in Nahost einzugreifen. Das stellt Europa, das von Öl aus der Region abhängig bleibt, vor neue Aufgaben

Wien - Mit den Verschiebungen auf der internationalen Energielandkarte könnte eine komplette Neuordnung der politischen Kräfteverhältnisse einhergehen. Waren die USA bisher Garant, im Fall einer Nahostkrise ihre diplomatischen und notfalls militärischen Muskeln spielen zu lassen, könnte sich das mit der rasch sinkenden Abhängigkeit von Energieimporten ändern.

"Es würde mich nicht wundern, wenn die USA das Interesse am Nahen Osten verlieren", sagte Christof Rühl, Chefökonom des Ölkonzerns BP, am Dienstag bei der Präsentation einer hauseigenen Vorschau der Entwicklung auf den Energiemärkten bis 2030 in Wien. "Die USA exportieren jetzt schon Kohle und werden bald auch Nettoexporteur von Gas sein. 2030 werden sie nur noch etwas über 30 Prozent ihres dann deutlich niedrigeren Ölbedarfs von außerhalb beziehen müssen. Sie können auf Kanada und Mexiko ausweichen und sind nicht mehr auf Saudi-Arabien angewiesen."

Rohstoff-Vorkommen machen unabhängig

Im Gegensatz dazu nimmt die Abhängigkeit Europas von Energieimporten weiter zu. Ob Europa somit auch eine aktivere Rolle im Nahen Osten spielen müsse als bisher? "In politische Dinge mische ich mich nicht ein" , sagte Rühl. Die Verschiebungen, die im Energiebereich im Gang sind, seien aber schon "erstaunlich".

So machen die USA dank riesiger Schiefergasfunde und daraus abgeleitet fast konkurrenzlos billiger Energie gerade eine Phase der Reindustrialisierung durch. Das geht bis nach Kanada und schwappt auch nach Mexiko über.

Öl dominiert nicht mehr

Europa wird nach Ansicht von Rühl noch länger mit vergleichsweise hohen Energiepreisen leben müssen, zumal Schiefergas höchst umstritten ist. Bei erneuerbaren Energien sollte Europa seine Weltmarktführung behaupten, der Marktanteil dürfte aber von knapp drei Viertel im Jahr 2010 auf knapp 50 Prozent bis 2030 sinken. Insgesamt dürften die Erneuerbaren dann einen Anteil am Weltenergiemix von rund sieben Prozent haben.

Noch eine Überraschung hat Rühl bei der Hand: "Erstmals wird es keinen dominanten Energieträger geben." Lag Anfang der 1970er-Jahre Öl noch weit vor Kohle und Gas, konvergieren alle drei Richtung 30 Prozent. Den Rest des Weltenergiekuchens teilen sich die Erneuerbaren mit Wasserkraft und Kernenergie.

Auch wenn die Bedeutung von Erdöl laut Prognose wegen eingeleiteter Effizienzmaßnahmen und wegen Substitution durch Gas sinkt, nimmt die Bedeutung der Opec zu. Statt knapp 40 Prozent wird die Organisation Erdöl exportierender Länder im Jahr 2030 einen Marktanteil von 45 Prozent für sich reklamieren können. (Günther Strobl, DER STANDARD, 31.10/1.11.2012)