Bild nicht mehr verfügbar.

Christian Kandlbauer bekam nach einem Unfall die erste gedankengesteuerte Prothese, die seinen linken Arm ersetzte.

Foto: REUTERS/Heinz-Peter Bader

Forscher arbeiten auch daran, die neuen Gliedmaßen in das Körperempfinden zu integrieren.

Man stelle sich vor: Ein Mann, der bei einem Unfall beide Arme verloren hat, steht in einer Küche und schneidet Gemüse. Mit einem leichten Kniff prüft er, ob eine Gurke auch schön knackig ist. Ein leises Summen ertönt. Es ist die Elektromechanik in seinen künstlichen Händen. Science-Fiction?

Nicht wirklich. Am Christian- Doppler-Labor für die Wiederherstellung von Extremitätenfunktionen in Wien wird täglich an der Verwirklichung solcher Visionen gearbeitet. Unter Leitung von Oskar Aszmann entwickeln Spezialisten die Prothesen der Zukunft. Ein vielversprechendes Forschungsfeld: Seit der Steirer Christian Kandlbauer 2007 von Aszmann die erste gedankengesteuerte Armprothese bekam - er starb 2010 infolge eines Autounfalls - wird die Technologie erfolgreich weiterentwickelt.

Alte Bahnen reaktivieren

Einer der größten Durchbrüche in der Prothesenforschung gelang 2004 dem US-amerikanischen Neurochirurgen Todd Kuiken und seinem Team am Rehabilitation Institute of Chicago. Kuiken hatte folgende Idee umgesetzt: Die Nervenbahnen, über die Gliedmaßen mit dem Gehirn verbunden sind, sind auch nach einer Amputation noch zum Teil vorhanden. Dieser Rest verläuft vom Rückenmark bis zur Amputationsstelle und ist normalerweise unbeschädigt. Und somit funktionsfähig. Er hat lediglich keine Aufgabe mehr, doch das lässt sich ändern. Mittels gezielter " Reinnervation".

Ein Teil des Körpers wird praktisch neu verdrahtet, um eine Kommunikationsstelle zur Prothese zu schaffen, erklärt Paul Marasco, Forscher in Todd Kuikens Team. Zunächst werden bestehende Nervenverbindungen in der Brustmuskulatur oder im Amputationsstumpen eines Patienten gekappt. "Danach schließt man die Nerven, die früher zum amputierten Glied führten, an den denervierten Muskel an."

Die Ergebnisse solcher Operationen sind erstaunlich. Die neu verbundenen Neuronen wachsen in die behandelte Körperpartie ein, verzweigen sich in der Muskulatur und erreichen schließlich die Haut. Dort werden sogar das Druckempfinden und die Temperaturwahrnehmung wiederhergestellt. Anscheinend werden die ursprünglich vorhandenen Sinnesrezeptoren gezielt von den vorrückenden Nerven angesteuert und wieder angebunden.

Für die Patienten hält die Behandlung eine zunächst seltsame Erfahrung bereit. "Wenn sie an den reinnervierten Hautpartien berührt werden, empfinden sie dies, als würde man sie am fehlenden Körperteil berühren", berichtet Marasco. Erfreulicherweise funktioniert nicht nur die Wahrnehmung so, sondern auch die Steuerung. Die Amputierten können neu angeschlossene Muskeln über dieselben Verbindungen zur Bewegung veranlassen, über die sie früher zum Beispiel ihren Daumen lenkten. Der Prothesenentwicklung eröffnen sich dadurch enorme Chancen. Die Reinnervation bietet die Möglichkeit, neue, intuitive Schaltstellen zwischen dem Gehirn und der Außenwelt zu schaffen. Über periphere Nerven zu künstlichen Gliedmaßen.

Über die Brustmuskulatur steuerbare Armprothesen wurden bereits ausführlich getestet, in den USA wie auch am CD-Labor in Wien. Vor einem Jahr wurde es an der Med-Uni gegründet, finanziert wird es von Wirtschaftsministerium, Nationalstiftung und dem Industriepartner Otto Bock.

Wege der Signalübertragung

Die ersten Fortschritte sind beachtlich: Versuchspersonen konnten diverse Bewegungsabläufe deutlich schneller und zielgenauer durchführen als mit bisherigen Prothesenmodellen. Die Steuerungssignale aus dem Gehirn werden an unterschiedlichen Muskelpartien mittels auf der Haut aufgeklebter Elektroden abgegriffen und via Kabel an den Mikroprozessor des künstlichen Arms weitergegeben. Anschließend tritt die Feinmechanik in Aktion.

Die Signalübertragung zwischen Körper und Prothese bereitet den Experten allerdings noch Schwierigkeiten. Eine Frage der elektrischen Leitfähigkeit. "Die Impedanz ist, je nachdem, wie stark die Haut schwitzt, sehr unterschiedlich. Dadurch kommt es zu Störungen", erläutert Oskar Aszmann. Um dieses Problem zu lösen, arbeiten die Forscher am CD-Labor an der Entwicklung von unter der Haut implantierten Systemen. Spezielle Elektroden sollen dazu direkt mit den reinnervierten Muskeln verbunden werden. Diese Sensoren könnten die von ihnen empfangenen Bewegungssignale an einen implantierten Transmitter weiterleiten. Letzterer würde die Kommandos aus dem Hirn elektronikgerecht übersetzen und die Befehle per Funk an einen in der Prothese integrierten Empfänger senden. Damit wäre der Kommunikationsengpass zwischen Mensch und Maschine optimal überbrückt.

Ein weiteres zentrales Forschungsziel, welches am CD-Labor intensiv verfolgt wird, betrifft die neuronale Architektur. Die Wissenschafter erstellen detaillierte "Landkarten" des Nervensystems. "Es geht um eine exakte Qualifizierung und Quantifizierung der am Rückenmark austretenden Nervenfasern. Das wurde noch nie gemacht", erklärt Aszmann. Besonders wichtig sei dabei die genaue Unterscheidung zwischen sensiblen und motorischen Neuronen. "Wir müssen die Nerven so präzise identifizieren, dass man sie bei der Operation genau findet." Nur so lassen sich zukünftig noch zielgenauere Verknüpfungen herstellen.

Die erforderlichen Untersuchungen sind jedoch äußerst aufwändig. Aszmann und sein Team müssen dazu Organspender sezieren. Da sich Nervengewebe sehr rasch zersetzt, können solche Studien nur an frisch Verstorbenen durchgeführt werden. Ein weiteres Problem ist, dass sensible und motorische Nervenfasern auf den ersten Blick absolut gleich aussehen. Nur mit speziellen Antikörpern, die einem einzelnen Schaf entstammen, lassen sich die verschiedenen Fasern unterschiedlich einfärben. Das Schaf trägt im Erbgut wahrscheinlich eine besondere Mutation, wodurch sein Immunsystem Proteinkomplexe produziert, die spezifisch mit bestimmten Eiweißmolekülen an der Oberfläche menschlicher Nervenzellen in Verbindung treten.

Gummihand-Illusion

Gezielte Reinnervation wird in Zukunft nicht nur eine äußerst präzise Steuerung künstlicher Gliedmaßen ermöglichen, sondern den Patienten auch zu einem neuen Körperempfinden verhelfen. Der Clou dahinter ist eine Art Sinnestäuschung. Menschen neigen stark dazu, eine künstliche Hand als ihre eigene wahrzunehmen, wenn diese zuvor sichtbar gestreichelt wurde, während dasselbe synchron mit ihren echten, verdeckten Hand geschah. Fachleute bezeichnen diesen Effekt als Gummihand-Illusion. Die künstliche Extremität wird im Körperbild eingeschlossen, erklärt Paul Marasco. "Es passiert dann, wenn das, was man sieht, zu dem passt, was man fühlt."

Marasco und seine Kollegen haben die Gummihand-Illusion bei Arm-Amputierten mit einem reinnervierten Restglied getestet. Mit Erfolg. Die Versuchspersonen empfanden tatsächlich so, als würden sie an der künstlichen Hand berührt. Durch gezielte Reizung der entsprechenden reinnervierten Sinneszellen müsste es also möglich sein, eine Prothese " fühlfähig" zu machen, meint Marasco. Der mechanische Ersatz wäre dann viel stärker ein Teil des Körpers und nicht bloß ein Werkzeug. "Die dazu notwendigen Kanäle sind alle da und verfügbar." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 31.10.2012)