Charles Bradley wurde vom Schicksal oft in die Knie gezwungen, aber er ist immer wieder aufgestanden. 

Foto: Viennale

Eine anrührende Dokumentation über ein Leben in Armut und Hoffnungslosigkeit - mit Happy End.

Wenn Charles Bradley singt, widerspiegelt sein Antlitz die Narben einer harten Biografie. Geboren in Florida, wird er von der Mutter in Hoffnung auf ein besseres Leben nach New York mitgenommen. Doch das bessere Leben stellt sich dort nicht ein.

Mit 14 Jahren ist Charles ein obdachloser Streuner, der in U-Bahn-Zügen übernachtet. Später lernt er kochen, geht nach Kalifornien, fristet ein bescheidenes Dasein, träumt von einem Leben als Soulsänger. Dann wird er krank, kommt zurück nach New York zu seiner Mutter, glaubt zu sterben. Sein Bruder rettet ihn. Doch dann wird die Mutter krank, sein Bruder ermordet. Wie soll ein Mensch das aushalten?

Charles Bradleys Gesicht ist gezeichnet von Trauer und Schmerz. Er lebt in einem Sozialbau in New York. Wenn dort nächtens wieder einmal geschossen wird, übernachtet er einige Tage im Keller bei seiner pflegebedürftigen Mutter. Immer noch träumt er davon, ein Musiker zu sein.

Er macht sich in kleinem Rahmen einen Namen als James-Brown-Impersonator und läuft die ganze Zeit mit einer James-Brown-Perücke durchs Leben. Irgendwann stellt er sich beim Kleinstlabel Daptone vor. Er hat gehört, dort würde man einen Soulsänger suchen. Das stimmt. Daptone macht aus dem James-Brown-Imitator Charles Bradley den Soulsänger Charles Bradley. Mit 62 veröffentlicht er 2011 sein Debütalbum No Time For Dreaming. Es wird ein weltweiter Erfolg, der American Dream wird für Charles Bradley wahr.

Regisseur Poull Brien hat seine Geschichte in der Dokumentation Charles Bradley: Soul of America abgebildet. Die Doku steigt an seinem 62. Geburtstag ein, wenige Monate vor der Veröffentlichung des Albums. Brien begleitet Bradley im Alltag, lauscht den Geschichten des Mannes mit den großen Augen, sieht ihm zu, wenn er Lese- und Schreibunterricht erhält.

Daptone-Labelchef Gabriel Roth kommt zu Wort; und Tommy Brenneck, der mit Bradley die Musik schreibt. Abgesehen vom unglaublichen Talent Bradlyes rührt in dieser Doku der Mensch dahinter als hart geprüfter, demütiger Optimist, dem in Momenten größter Hoffnungslosigkeit die Musik geholfen hat weiterzumachen.

Soul of America ist ein modernes Märchen ebenso wie eine zerstörte Illusion. Why is it so hard to make it in America heißt eines der besten Lieder von Bradley. Es formuliert die Ohnmacht jener, die es nicht schaffen. Bradley weiß, wie sich das anfühlt.

62 Jahre lang war er einer von ihnen. Das macht nicht nur seine Kunst so überzeugend, es schlägt in diesem kitschfreien Märchen die Brücke in die Realität. Wenn Bradley auf der Bühne auf die Knie fällt, von Heartache and Pain singt und dankbar den Applaus entgegennimmt, dann ist seine Stimme auch die all derer, die es nicht geschafft haben. Taschentücher nicht vergessen. (Karl Fluch, Spezial, DER STANDARD, 3./4.11.2012)