Es ist Herbst, und es hat gut 40 Grad - im Schatten. Schweiß dringt aus den Haarwurzeln, sammelt sich in den Augenbrauen, perlt über die Haut und tropft auf felsigen Grund. Ein kühles Bier wäre jetzt herrlich. Allein - es bleibt beim Wunsch. Dafür gibt es Wasser. Und tatsächlich: Selbst lauwarm schmeckt die Flüssigkeit plötzlich köstlich. Die Luftfeuchtigkeit ist extrem. Und das im November, mitten in den Tauern.
Der Gasteiner Heilstollen erlebt eine Renaissance. Immer mehr Kurgäste schwören auf die Radontherapie. Dafür sind sie sogar bereit, mit der sogenannten Höllenbahn in den Berg zu fahren. Das Kurhaus, zwischen Bäumen versteckt etwas oberhalb der steil ansteigenden Salzburger Gemeinde gelegen, ist gleichzeitig der Bahnhof. Von hier aus geht es ins Innere des Berges.
Nach dem Gesundheits-Check, der auch zur Bestimmung des für jeden Passagier individuell am besten geeigneten Zielbahnhofs dient, füllt sich der Zug in die Unterwelt. Anzug und Krawatte haben in den engen Abteils ebenso wenig verloren wie Pelzjacken und Schmuck. Es dominieren die Farben Weiß und Blau. Weiß sind die Bademäntel, blau die Badeschlapfen. Beides kann man im Kurhaus ausleihen. Vor der Einfahrt bekommen die Kurgäste statt des Höllenhundes eine Statue der heiligen Barbara zu Gesicht, der Schutzpatronin der Bergleute. Dann geht's los.
Mit Zwischenhalt zur Therapie
Die Fahrt zu den Therapiestationen dauert etwas mehr als zehn Minuten. Je tiefer es in den Berg geht, desto wärmer wird es. Nach etwa 1000 Metern macht die Stollenbahn einen Zwischenstopp: Zeit, die Bademäntel auszuziehen.
Am heißesten ist es auf Station IV; sie liegt 2240 Meter vom Stollenportal entfernt. Dort hat es 41,5 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent. Der Radongehalt im Berg ist zwar überall gleich; aber je höher Temperatur und Luftfeuchtigkeit sind, desto eher kann eine Erhöhung der Körperkerntemperatur erreicht werden. Das wiederum hat einen positiven Einfluss, was die Aufnahme und die Verteilung von Radon im Körper betrifft.
Anders als die Bergleute, die zu Beginn des Zweiten Weltkrieges den schon im 16. Jahrhundert bekannten Goldbergbau zu reaktivieren versuchten, müssen die Kurgäste heute kein Werkzeug anfassen. Ihre einzige Anstrengung besteht darin, als Teil der Therapie eine knappe Stunde auf einer Pritsche zu liegen. Dann holt sie die Stollenbahn wieder ab und bringt sie ins Kurhaus zurück.
Die Bergleute haben um 1940 herum kein Gold gefunden, dafür die heilsame Wirkung von Radon entdeckt. Im Gasteiner Heil stollen, der vor 60 Jahren in Betrieb ging, machen mittlerweile 14.000 Patienten pro Jahr eine Therapie. Die Kombination aus Radon, Wärme und Feuchtigkeit in der Gas teiner Unterwelt ist weltweit einzigartig. Der Heilstollen ist außerdem das weltweit größte Therapiezentrum für Morbus Bechterew, das ist eine chronisch-entzündliche Rheumaerkrankung
Verfall am Wasserfall
Etwas morbid geht es auch im Dorfzentrum von Bad Gastein zu, und das seit etlichen Jahren. Den Grund für die vor sich hin bröckelnden Gebäude, allesamt in bester Lage rund um den Wasserfall gelegen, der den Ortskern prägt, kennt niemand genau. Von "Spekulation" ist die Rede, auch von einer "persönlichen Geschichte". Manche sprechen von der "Rache" des Eigentümers der Immobilien, eines Wiener Gargaragenkönigs, an der Gemeinde.
Dietmar Wernitznig, Direktor des Europäischen Hofs und Gemeinderat in Bad Gastein, will das leidige Thema nicht mehr kommentieren. "Diese Ruinen sind nun einmal da. Sich darüber Gedanken zu machen ist verschwendete Energie," sagte der gebürtige Kärntner bei einem Lokalaugenschein. "Der Ort pulsiert, das ist entscheidend. Das zeigen die Nächtigungszahlen, die steigen."
An dem Aufschwung Gasteins möchte nach erfolgtem Umbau auch der Europäische Hof stärker teilhaben, ihn sogar befördern. Im Mai hat das Hotel, das der Nürnberger Versicherung gehört, einen fünften Stern bekommen. Es sei höchst an der Zeit gewesen, dass Bad Gastein nach fast einem Vierteljahrhundert erstmals wieder ein Hotel mit fünf Sternen hat. Neben Radonbädern im Haus und großzügiger Wellnesslandschaft will Wernitznig auch verstärkt mit dem Heilstollen am anderen Ende der Ortschaft kooperieren. (Günther Strobl, Album, DER STANDARD, 3.11.2012)