Wien - "Szenen aus dem Leben auf dem Lande" nannte Anton Tschechow seinen "Onkel Wanja". Die famose Inszenierung von Matthias Hartmann im Wiener Akademietheater beruht auf einem einfachen Trick: Sie nimmt jede Regung, jede Flause dieser vom Nichtstun geplagten Gutsbewohner noch eine Spur wörtlicher, als dies normalerweise der Fall ist. Der Erfolg ist durchschlagend: Aus Tschechow, dem Skizzenmaler der russischen Provinz, wird - wenigstens stellenweise - der Porträtkünstler des bürgerlichen Beziehungsirrsinns. Seine Figuren toben wie vor der Zeit alt gewordene Kinder über einen grünen Kunststoffboden, der sie vor luftigen Kulissen (Bühne: Stéphane Laime) zu mutwilligen Gesten der (Selbst-)Zerstörung zwingt.

Hartmanns eigenwillige "Wanja"-Besetzung schillert in allen Charakterfarben: Der hypochondrische Professor (Gert Voss) mit der überschnappenden Frau (Caroline Peters) drangsaliert seine Angehörigen, voran den jammerläppischen Wanja (Nicholas Ofczarek). Ein scharfes Bild von indignierter Zerstörungswollust: Michael Maertens als Arzt Astrow, dessen reformerisches Wirken vor allem ein Akt des Selbstbetrugs ist. Für Hartmanns Entdeckung der Boulevardfachkraft Tschechow gab es zurecht Jubel. (Ronald Pohl/DER STANDARD, 3.11.2012)