Den thematischen Anschluss an den Talk von Federico Pistono über das Aufbrechen von Arbeitsparadigma fand auf der TEDx Vienna, die vergangenes Wochenende in Wien stattfand, die Sozialpsychologin Julia Pitters von der Webster University Vienna. Sie erforscht den Zusammenhang zwischen Technologie und Zufriedenheit.
Smartphones machen nicht glücklich
Nach einer Einleitung über „Cyberpsychologie", ein Forschungsfeld, das sich unter anderem mit Internetsucht, künstlicher Intelligenz und Online-Dating behandelt und den Begriff „Disgoogelation" (ein Gefühl der Leere, das bei Absenz vom Bildschirm und Online-Interaktionen entsteht) hervorgebracht hat.
Während sich der technische Fortschritt stetig beschleunigt, stagniert die Zufriedenheit der Menschen, attestiert die Wissenschaftlerin. Und liefert einen impliziten Beleg bei einer kurzen Publikumsbefragen. „Was macht glücklich?", will sie von den Anwesenden auf den Theaterbänken wissen. Es fallen Begriffe wie „Liebe", „Beziehungen", „Erfolg" oder „Sex". Niemand sagt „Technologie". Das Smartphone ist also per se nichts, was seinem Besitzer zur Glückseligkeit verhilft.
Laptop statt Plüschtier
Pitters schlüsselt Zufreidenheit in vier Komponenten auf: Autonomie, Kompetenz, Selbstbewusstsein und soziale Verbundenheit mit anderen. In allen Bereichen kann moderne Technik eine wichtige Rolle einnehmen. Sie selbst besitzt einen Staubsaug-Roboter, der ihr im Haushalt wöchentlich zwei Stunden an Arbeit erspart. Die sie prompt in den Umgang mit anderen Technologien steckt.
Eine reale Metapher dazu liefern kleine Kinder, die Erwachsene imitieren. Obwohl sie mit dem Gerät nichts anfangen können, drücken viele lieber wahllos Tasten auf einem Laptop, als sich etwa mit einem Plüsch-Schaf zu beschäftigen. Sie wollen sein, wie die Großen, für die moderne Technik zu Alltag und Arbeitsplatz geworden ist.
Mikrowelle: Hilfsmittel oder Hobby-Zerstörer
Die Psychologin folgert daraus, dass uns Smartphones und Co. nur dann helfen können, wenn wir entsprechend gebildet und im Umgang mit ihnen geschult sind, und sie uns konkreten Nutzen erweisen.
So sind Mikrowellen als Errungenschaft moderner Küchen kaum noch wegzudenken, doch ihr Mann, ein passionierter Hobbykoch, wäre über die Anschaffung eines solchen Geräts entsetzt. Für ihn zählt auch die Zeit, die er mit der Zubereitung von Essen verbringt und die Mühe, die er darin investiert. Das schnelle Essen aus dem Strahlkasten würde ihm zwar Zeitersparnis verschaffen. Ein Beitrag zu seiner Zufriedenheit wäre es nicht.
Klagenfurts virtuelle Bibliothek
Der Journalist Georg Holzer beackert ein etwas anderes Feld, das aber auch die Nützlichkeit von Technologie tangiert. Konkret geht es um Near Field Communication, kurz NFC. Der zum Teil in Österreich entwickelte Weg zur kontaktlosen und schnellen Datenübertragung ist ein gutes Jahrzehnt alt, fasst erst langsam in Smartphones Fuß, aber hat außerhalb von Geschäften so gut wie keine Bedeutung.
Gemeinsam mit seinen Projektpartnern erdachte Holzer das „Projekt Ingeborg" (www.pingeb.org). Ziel war es, E-Books in Klagenfurt unters Volk zu bringen. Immerhin ist die Kärtner Metropole Europas einzige Landeshauptstadt ohne öffentlicher Bibliothek. Also wurden in Partnerschaft mit einem örtlichen Busunternehmen 70 Sticker mit NFC-Chip und QR-Code an Haltestellen sowie in Geschäften und Bars angebracht.
"Ingeborg" goes Open Source
Das Feedback von Menschen - jemand übersetze die Presseaussendung ins Englische und bewirkte damit Coverage auf Endgadet - war laut Holzer sehr positiv. Die Idee ist mittlerweile gewachsen. Es geht nun nicht mehr nur um Bücher, sondern um alle Arten von Inhalten. Und inkludiert das gezielte Aufmerksam-Machen auf lokale Künstlerinnen und Autoren.
Ziel ist es nun, aus den einst 70 Stickern (mittlerweile sind es 130) in einem Jahr 70.000 zu machen. Dazu wurde die Codebase von „Ingeborg" zusammengefasst und steht quelloffen als Wordpress-Plugin bereit. Umsetzbar sind damit auch Indoor- und Time-based-Services.
Zerlegte Normalität
Als vierter Redner betrat Interaktionsforscher Tom Bieling die Bühne. Das Thema „Design" lag im Fokus seines Referats. Ästhetische und funktionale Gestaltung nimmt seiner Ansicht nach eine tragende Rolle in unserer Gesellschaft ein. Und doch fehlt uns all zu oft eine Idee, wie man auf diesem Wege zu Veränderungen beitragen kann. Wie es ginge, zeigt etwa ein Lorm-Handschuh, der es taubblinden Menschen erleichtert, zu kommunizieren.
Design soll die Normalität rekonfigurieren. Usability ist mehr als die Frage danach, wie leicht sich ein Gegenstand oder Produkt bedienen lässt. Wichtig ist auch zu definieren, für wen die geschaffene Nützlichkeit gedacht ist. Ist die Erfindung nützlich für die Mehrheit der Nutzer oder die Mehrheit der Anwendungen?
Problemstellungen
Dabei kann die Definition eines Problems schon selbst zum Problem werden. Welche Bedeutung hat das Wort „Problem"? Wie definiert man „Normalität", wie „Minderheit"? Bieling betont, dass es außerordentlich wichtig ist, mit den sogenannten Minderheiten zu Arbeiten und etwa die Einschränkungen behinderter Menschen eben nicht als Problem, sondern als Potenzial zu definieren und sich stattdessen um Inklusion zu bemühen, was die Dekonstruktion der Normalität mittels Design erlaubt.
Die Wichtigkeit der Minderheiten
„Vielfalt", so Bieling, „ist eines der auffallendsten Merkmale der Menschen." Daher braucht es neue Konzepte abseits des Stereotyps des „Durchschnittsanwenders", den es so eigentlich nicht gibt. Ebenso wenig wie Behinderte dürfen etwa ältere Generationen per so als „nicht in der Lage, neue Technologien zu bedienen" abgeschrieben werden. Die Kernfrage ist: Was können Design und Technologie zum sozialen Fortschritt beitragen?"
Bei ihrer Beantwortung spielen eben die „Anderen", die nicht der Mehrheit angehören, eine tragende Rolle. Denn sie haben den größten Willen, den Status Quo zu ändern.
Der Dinosaurier lebt
„Als ich 16 war, dachte ich, dass klassische Musik ein Dinosaurier wäre, der uns nichts bieten könnte", sagt Albert Frantz, Online-Klavierlehrer und Gründer von key-notes.com und praktizierender Pianist. Er entdeckte seine Liebe zu Haydn und anderen Komponisten erst im College, als seine Passion für Mathematik und Wissenschaft auch seine Begeisterung für Philosophie weckte.
Letztlich wechselte er von seinem Technik-Studium zu Philosophie und Musik. Frantz lernte unter anderem am Konservatorium in Wien und beherrscht einhändiges Klavierspielen, das er sich nach einer schweren (und mittlerweile langwierig ausgeheilten) Verletzung des linken Handgelenks aneignete.
"Was bleibt über?"
Heute beschäftigen ihn Fragen wie „Was ist gut?", „Ist Technologie wirklich Fortschritt?" und in weiterer Folge: „Was bleibt über?". Letzteres steht stark in einem kulturellen Bezug. In welchem Bezug stehen Kunst und Technik? An welche Errungenschaften der heutigen Zivilisation, abseits von Schulden und Umweltzerstörung, wird man sich erinnern?
Allzu oft verkommt Kunst zum Produkt mit knapp bemessenem Lebenszyklus. Und das obwohl wir über Technologie verfügen, wie man sie sich vor wenigen Jahrzehnten kaum vorstellen konnte. Die Menschheit schickt autonome Rover auf entfernte Planeten, das moderne Smartphone ist leistungsfähiger als der einst raumfüllende Supercomputer. Und darum interessiert sich heute auch niemand mehr für das iPhone 4.
Alles ist subjektiv
Frantz versucht einen Unterschied zwischen Kunst, Kultur und Wissenschaft zu finden. Kuinst schafft permanente Werte und macht Kultur unsterblich. Sie macht uns menschlich, genauso wie Forschung. Wir sind neugierig und wollen wissen, warum etwas so ist, wie es ist. Nominell ist Kultur subjektiv und Wissenschaft objektiv, die Realität aber zeichnet eine Spektrum, in dem keiner der beiden in der Regel in ein Extrem fällt.
Letztlich sind auch Wissenschaftler Subjekte. Denn die menschliche Wahrnehmung entzieht sich unabänderlich der Objektivität. Der Musiker Frantz erinnert sich an Kinderzeiten bei der Großmutter. Stets wollten die Enkel lieber den „Roten Samtkuchen" statt einfachen Schokokuchen, weil er einfach besser schmeckte. Jahre später ernüchterte sie die Erkenntnis, dass beide Desserts abseits von roter Lebensmittelfarbe vollständig ident waren.
Der gute Haydn-Hoax
Im Februar 1994 hätten in Harvard sechs neu entdeckte Haydn-Sonaten uraufgeführt werden sollen. Drei Monate zuvor entdeckten Wissenschaftler jedoch, dass die Musikstücke offenbar gefälscht waren. Den „Scherz" hatte sich ein unbekannter deutscher Musiker erlaubt. Macht dies seine Musik schlecht?
Nein, folgert Frantz, denn die Komposition von klassischen Stücken im Stile des Altmeisters benötigt einiges an Können. Es macht also keinen Unterschied, ob die Noten von einem wenig bedeutenden Künstler aus dem Jetzt oder von einem Star vergangener Jahrhunderte zu Papier gebracht wurden. Es zählt, was klingt. Als Randnotiz sei hier angemerkt, dass nicht wenige Maler und Musiker ohnehin erst posthum zu Weltruhm kamen.
Es gibt keine objektive Basis für Geschmack. Die subjektiv originellsten Werke überdauern die Zeit. Ästhetik in vielerlei Ausprägung ist wichtig für kulturelles Erbe. Wir leben jedoch in einer Ära, in der „Inhalte konsumiert" werden.
Gutes Design ist die richtige Dosis Komplexität
Was sind die Kunstwerke von heute? Das Prinzip erfolgreichen Designs, so Frantz, ist Komplexität, die sich nicht reduzieren lässt. Oder wie es Einstein formulierte: „Alles sollte so einfach wie möglich sein, aber nicht einfacher." Das gilt gleichermaßen für Kunst, Produkte oder Organismen - eine Reduktion die etwa an Überbleibseln wie dem Blinddarm erkennbar ist.
Mit der funktionalen Komplexität steigt auch die Anerkennung. Wir haben kein Problem, eine lästige Fliege zu erschlagen, die für sich gesehen auch ein Wunderwerk der Evolution ist, sorgen uns aber wegen Tierversuchen an Ratten oder Primaten. Als Beispiels aus dem Technologiebereich erwähnt Frantz einen überlieferten Wutanfall des einstigen Apple-CEO Steve Jobs, als ihm der erste iMac mit einem „Eject"-Button für das optische Laufwerk präsentiert wurde.
Vorbild Hitchcock
Die optimale Minimum einer Mordszene hat Alfred Hitchcock geschaffen. Die berühmte Duschszene aus dem absichtlich in Schwarz-Weiß gefilmten Thriller „Psycho" zeigt nie, wie das Messer des Killers in sein Opfer eindringt. Auch die Leiche entzieht sich dem Blick des Zusehers, der stattdessen nach einem langsamen Schwenk den Abfluss zu sehen bekommt, in den sich dunkel färbendes Wasser rinnt. Schatten und Musik perfektionieren die unsterbliche Szene. Auch wirtschaftlich rentierte sich dieses Vorgehen, denn es verbilligte die Produktion.
Was uns menschlich macht
Frantz schließt mit dem Fazit, dass wir unserem kulturellen Erbe mehr Aufmerksamkeit schenken müssen. Es gilt, sich damit auseinanderzusetzen, was uns menschlich macht. Erst wenn wir verstehen, wie wir von der Vergangenheit profitieren, wissen wir wirklich, wie sich die Zukunftvon Kunst und Kultur gestalten lässt. (Georg Pichler, derStandard.at, 11.11.2012)