Die für viele US-Beobachter wichtigste mediale Unterstützungserklärung für Barack Obama kam nicht von der New York Times, die traditionell zu demokratischen Kandidaten hält, oder einer der Hunderte Regionalzeitungen in den USA, sondern vom Economist.

Das britische Magazin hat eine sehr hohe Reichweite unter amerikanischen Meinungsmachern, gilt als Bibel der ökonomisch Interessierten und Wirtschaftsliberalen (viel mehr als Rupert Murdochs rechtsgerichtetes Wall Street Journal). Seine Präferenz für einen oder anderen Kandidaten hat daher großes Gewicht – auch deshalb, weil es sich seine Entscheidung nicht leicht macht.

Nun hat sich der Economist wie schon 2008 für Obama ausgesprochen.  Allerdings war dieses „Endorsement“ mit vielen Caveats verbunden und wurde vor allem mit den massiven Schwachpunkten Romneys und seiner republikanischen Partei argumentiert. Interessanterweise hatte der Economist Obama in seiner tatsächlichen Politik wenig vorzuwerfen. Die Hauptkritik lautet: Obama mag das Unternehmertum nicht.

„Keine Regierung der vergangenen Jahrzehnte hat das Wirtschaftstreiben so wenig verstanden“, hieß es im Leitartikel: „Frühere Demokraten, vor allem Bill Clinton, haben Steuern erhöht, aber immer noch den Kapitalismus verstanden. Unternehmen zu attackieren scheint die zweite Natur von vielen Menschen rund um Obama zu sein.“

Konkrete Auswirkungen hat diese Haltung, wenn sie überhaupt besteht, nicht gehabt. Nach Meinung neutraler Beobachter war die Obama-Regierung besonders wirtschaft- und vor allem Wall-Steet-freundlich – viel zu freundlich, wie etwas linksgerichtete Kritiker monieren. Auch mit der Industrie stand das Weiße Haus nicht auf Kriegsfuß – siehe etwa die Rettung der Detroiter Autoindustrie.

Und selbst bei der Energiepolitik hat Obama den Wünschen der Industrie immer wieder nachgegeben und die Umweltschützer vor dem Kopf gestoßen. Der massive Anstieg  der inländischen Öl- und Gasförderung in den vergangenen vier Jahren – vor allem der ökologisch umstrittenen Schiefgasproduktion – macht das deutlich.

Die Regulierung der Finanzbranche durch das Dodd-Frank-Gesetz ist tatsächlich erschreckend komplex und daher ziemlich belastend geworden. Aber das war nicht das Werk des Präsidenten, sondern eine unvermeidliche Folge der amerikanischen Gesetzgebung.

Dodd-Frank ist weniger schlimm als Sarbanes-Oxley  - jenem Börsenregulierungsgesetz von 2002, das unter George W. Bush verabschiedet wurde. Und Bush war bekanntlich vor seiner politischen Karriere ein – wenig erfolgreicher – Unternehmer.

Was vom Vorwurf übrigbleibt, ist eine gewisse anti-unternehmerische Stimmung und gelegentliche Rhetorik. Tatsächlich hat Obama, der selbst nie in der Privatwirtschaft tätig war, nie ein besonderes Verständnis für die Befindlichkeiten von Unternehmern und Managern gezeigt. Sein Satz „Wenn du ein Unternehmen hast, hast du es nicht selbst gebaut“, war ungeschickt formuliert und wurde ihm  - aus dem Zusammenhang gerissen – Hunderte Mal an den Kopf geworfen.

Aber was Obama eigentlich sagen wollte und auch gesagt hat, ist nicht nur wahr, sondern selbstverständlich: Unternehmerischer Erfolg geschieht nicht im Vakuum, sondern in einem größeren wirtschaftspolitischen Rahmen, in dem die Leistungen des Staates und der Gesellschaft ganz entscheidend sind.

Dazu kamen im Wahlkampf die oft gehässigen Angriffe auf Mitt Romneys Karriere als Investor ohne soziales Gewissen und Steuervermeider. Diese waren zwar zum Teil überzogen, aber sicher nicht ärger als Attacken der anderen Seite.  

Es ist selten, dass ein Ex-Unternehmer Staatschef wird, und wenn ja, dann sind diese oft nicht sehr erfolgreich. Weder Angela Merkel noch David Cameron  können Erfahrung in der Privatwirtschaft vorweisen. Meist kommen Leute an die Spitze, die lange Zeit in der Politik tätig waren. Obama hat seine beruflich prägenden Jahre als Verfassungsrechtsprofessor an der University of Chicago verbracht. Auch Clinton hatte einen ähnlichen Hintergrund.

Die implizite Botschaft im Vorwurf der Unternehmerfeindlichkeit ist folgende: Wirtschaftstreibende sind eine besonders sensible Kaste, die ständige Hinwendung brauchen und die man auch nicht durch faktisch richtige Aussagen vor den Kopf stoßen darf. Sonst sind sie beleidigt und investieren nicht mehr.

Bei Menschen, die zu den Spitzenverdienern und besonders Privilegierten der Gesellschaft gehören und ihre Rechte mit Anwälten und Lobbyisten sehr gut zu wahren wissen, ist dies einfach absurd. Obama hat nie echtes „Business-Bashing“ betrieben, und auf die Auswüchse der Finanzindustrie und die Notwendigkeit von mehr Einkommensgerechtigkeit hinzuweisen, ist in der heutigen Zeit völlig legitim.

Obama wäre gut beraten, in einer zweiten Amtszeit mehr nette Gesten gegenüber Unternehmern und Managern zu setzen ­– allein um diesem Vorwurf den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber sonst wird die amerikanische Wirtschaft mit diesem Präsident gut fahren, besser als mit einem, der ständig seine Liebe zum Kapitalismus erklärt und das Land dabei in Grund und Boden fährt. (Eric Frey, derStandard.at, 4.11.2012)