Ein Arzt der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" bei einem Hilfseinsatz im Gazastreifen.

Foto: Mateja Stare/Ärzte ohne Grenzen

In einem neuen Bericht hat eine Koalition aus 22 NGOs die Europäische Union dazu aufgefordert, Produkte aus israelischen Siedlungen zu boykottieren. Die EU, so der Bericht (Link zum PDF), importiere 15 Mal mehr Produkte aus Israel als von Palästinensern. Das, obwohl die offizielle Position der EU (Link zum PDF) im Hinblick auf Siedlungen klar ist: sie sind unter internationalem Recht illegal und stellen ein großes Hindernis zu einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts dar.

Unter den Nichtregierungsorganisation sind etwa die Diakonie, Medico International und Norwegian People's Aid: Organisationen, deren Mandat primär humanitärer Natur ist. Dennoch nehmen NGOs und auch Internationale Organisationen zunehmend eine politische Haltung gegenüber Israels Besatzungspolitik ein, wie in der Forderung nach einem Boykott von Produkten aus Siedlungen ersichtlich ist. Während Israel eine klare Linie zwischen Politik und humanitärer Arbeit zieht, sagen immer mehr Organisationen und Aktivisten, dass diese Trennung keinen Sinn mehr macht.

"Humanitäre Arbeit heißt für uns, dass jemand auf humanitäre Art Hilfe leistet. Dabei geht es um Gesundheit, Nahrung, oder Wohlfahrt. Aber wenn man Position ergreift und seine Meinung über politische Akteure abgibt, ist das nicht mehr humanitär", sagt Ilana Stein, Vize-Sprecherin des israelischen Außenministeriums. Sie hebt etwa Ärzte ohne Grenzen als positives Beispiel hervor. Denn diese leisten medizinische Hilfe "für alle, egal wer".

"Kein Status quo"

Israel kontrolliert große Teile des Westjordanlandes und ist in 60 Prozent des Gebiets auch für die Vergabe von Baugenehmigungen zuständig. So müssen etwa humanitäre Organisationen ihre Projekte von israelischen Behörden genehmigen lassen, bevor sie gebaut werden können. Doch viele sehen darin eine kurzsichtige Strategie der humanitären Gemeinschaft. Denn dieses Spiel nach israelischen Regeln würde nur den Status quo erhalten, Palästinenser aber langfristig nicht weiterbringen.

Viele humanitäre Probleme im Westjordanland, etwa die Verteilung von Wasser, sind schwer von Politik zu trennen. Denn wenn Israel dieses Wasser ungleich verteilt und palästinensische Dörfer vernachlässigt, während es jüdische Siedlungen gezielt fördert, kann humanitäre Hilfe immer nur die Fehler korrigieren, die durch politische Entscheidungen geschaffen werden.

"Soziale Arbeit kann man im Westjordanland nicht von Politik trennen", sagt eine ausländische Aktivistin, die Palästinenser bei der Olivenernte unterstützt hat. "Einmal haben wir eine israelische Straßensperre aus Schutt weggeschaufelt. Das ist soziale Arbeit. Unsere Motivation ist aber politisch", meint sie. Wer Angst hat politisch zu arbeiten würde letztlich nach israelischen Regeln spielen. Und das scheinen immer mehr Organisationen zu realisieren, die humanitäre Hilfe leisten und gleichzeitig mit ansehen müssen, wie politische Entwicklungen Schritt für Schritt den Raum verkleinern, in dem sie überhaupt etwas beitragen können.

Die 22 NGOs hinter dem Bericht schreiben: "Die Signatare dieses Berichts (...), Organisationen aus neun EU-Mitgliedsstaaten, sowie aus Norwegen und der Schweiz, haben die täglichen Auswirkungen israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten seit Jahren mit angesehen. Im Gegensatz zu der allgemeinen Ansicht, dass die Situation stillsteht, haben sie gesehen, dass die Lage am Boden alles andere als statisch ist."

Doch in der Politisierung humanitärer Arbeit sehen manche auch Gefahren. Mitarbeiter von NGOs können so leicht die Arbeits-Visa verweigert werden. Auch könnte Israel Hilfsteams den Zugang zu gewissen Zonen verweigern, wenn es der Politik gelingt diese Organisationen als anti-israelisch und politisch darzustellen. (Andreas Hackl, derStandard.at, 4.11.2012)