Sollen Geringverdiener auf Dauer von der österreichischen Staatsbürgerschaft und damit vom Wahlrecht und auch vom Zugang zum Staatsdienst ausgeschlossen sein? Die Antwort auf diese Frage hat einen markanten Einfluss für die Zukunft unserer Demokratie. Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz plädiert mit seinem Einbürgerungsmodell dafür, Geringverdienern keine Chance auf die Staatsbürgerschaft zu geben. "Wer die Einbürgerungskriterien nicht erfüllt, soll gar nicht österreichischer Staatsbürger werden dürfen", so Kurz.

Staatsbürgerschaft als hohes Gut

Die Einbürgerungskriterien, das sind in der Regel ein mindestens zehnjähriger legaler und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich, ein über einen längeren Zeitraum gesichertes, nicht zu niedriges Einkommen, keine Inanspruchnahme von Sozialleistungen in den letzten drei Jahren, gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift und absolute Unbescholtenheit. "Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut, wir dürfen sie nicht leichtfertig vergeben", so Kurz als Rechtfertigung für den restriktiven Umgang mit Einbürgerungen.

Kurz hat Recht, die Staatsbürgerschaft ist in Österreich in der Tat ein hohes Gut. Mehr noch, die Staatsbürgerschaft ist ein in die österreichische Verfassung eingeschriebenes Grundnahrungsmittel der hiesigen Demokratie. Ohne Staatsbürgerschaft ist man in Österreich kein vollwertiger Bürger. Nur Besitzerinnen und Besitzer eines österreichischen Passes wird der volle Zugang zum Wahlrecht, zum Versammlungsrecht und zu allen Bereichen des Arbeitsmarkts gewährt.

Die Staatsbürgerschaft ist in Österreich ein dermaßen hohes Gut, dass es gravierende negative Auswirkungen hat, wenn sie Personen, die auf Dauer in Österreich leben, leichtfertig vorenthalten wird. Seit den unter der Regierung Schüssel-Haider beschlossenen Verschärfungen des Staatsbürgerschaftsrechts ist jedoch genau das der Fall. Aus einer Demokratie für alle, die dauerhaft hier leben und die teilhaben wollen, ist eine Demokratie geworden, in der man sich das Wahlrecht und den Zugang zum Staatsdienst erst verdienen muss, indem man nachweist, dass man genug verdient.

Ausschluss von sozial Schwächeren

GeringverdienerInnen oder Personen, die zwischendurch einmal arbeitslos waren oder eine kurze Aufenthaltsunterbrechung hatten oder gut Deutsch sprechen, aber nicht so gut schreiben können, sind seit schwarz-blau von der Staatsbürgerschaft und damit von wesentlichen demokratischen und sozialen Grundrechten ausgeschlossen. Die Folge: Das österreichische Demokratiemodell gerät langsam aber sicher aus der Balance. Schon jetzt steigt aufgrund dieser Ausschlussmechanismen von Jahr zu Jahr der Anteil der nicht wahlberechtigten und nicht zum Staatsdienst zugelassenen Bevölkerung in Österreich.

Allein die Einkommenshürde zur Erlangung der Staatsbürgerschaft (in den vergangenen 3 Jahren kein einziger Tag Bezug von Sozialhilfe, dafür ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von mehr als 814,82 Euro + Anteil der Mietkosten + 125,72 Euro für jedes Kind + Kreditraten) wurde von der schwarz-blauen Regierung so hoch angesetzt, dass mehr als ein Fünftel der österreichischen Gesamtbevölkerung daran scheitern würden. Unter den weiblichen Arbeiterinnen sind es sogar etwa 70 Prozent, die allein dieses Kriterium nicht erfüllen könnten.

Interessanterweise wird Kurz, obwohl er so ausführlich wie sonst niemand zu Wort kommt, von den Medien kaum darauf angesprochen, dass sein Einbürgerungsmodell die so wichtige soziale Frage vollkommen außer Acht lässt. Nur ein einziges Mal bekam er in einem Streitgespräch mit der Grünpolitikerin Alev Korun diese Frage gestellt. Kurz meinte daraufhin lapidar, dass er die „Zuwanderung ins soziale Netz" verhindern wolle. Dabei müsste der Integrationsstaatsekretär eigentlich wissen, dass es sich bei den Anwärtern auf die Staatsbürgerschaft um Menschen handelt, die schon längst dauerhaft legal in Österreich niedergelassen sind.

Zynismus oder Demokratie?

Kurz sagt, er wolle verhindern, dass die Staatsbürgerschaft verschenkt werde. Das sagt er als einer derjenigen, dem der österreichische Pass tatsächlich geschenkt und bei Geburt in die Wiege gelegt wurde. Vielen anderen wurde die Staatsbürgerschaft nicht geschenkt, sie mussten schon vor der schwarz-blauen Verschärfungswelle Geduld und Geld dafür aufbringen. Heutzutage sind es bereits zwischen 1.000 und 2.000 Euro die für die Verleihung auf den Tisch gelegt werden. Wenn man zynisch wäre, könnte man sagen, der Staat will es Geringverdienern nicht zumuten, solch hohe Beträge zahlen zu müssen, und schließt sie daher lieber von demokratischen und sozialen Rechten aus.

Doch Zynismus ist nicht angebracht. Gerade von einem Integrationsstaatsekretär würde man sich erwarten, dass er Mechanismen, die Teilhabe verhindern und soziale Gräben verbreitern, bekämpft, und nicht deren Fortsetzung propagiert. Noch ist die anstehende Staatsbürgerschaftsreform nicht gelaufen. Noch hätte Kurz die Chance, seinen Kurs zu korrigieren. Wenn er tatsächlich ein Interesse an Demokratie und Integration hat, muss er dem Ausschluss von sozial Schwächeren von der Staatsbürgerschaft entschlossen entgegentreten. (Alexander Pollak, derStandard.at, 6.11.2012)