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"Der Ruf nach einer allumfassenden Vermögenssteuer mit Hinweis auf die USA verzerrt die österreichische Realität."

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"Klassische" Ingredienzien einer Protestaktion gegen "Superreiche": Zylinder, Schweinsnase und Geldsäcke. - Geht es vielleicht auch etwas differenzierter?

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Seit einiger Zeit verfügen wir dank einer Studie der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), die Teil einer Datenerhebung in allen 17 Euro-Staaten ist, über empirische Daten zur Vermögensverteilung in Österreich. Wilfried Altzinger, der an dieser Stelle den Wert dieses Datensatzes für die empirische Wirtschaftsforschung betont hat, ist in diesem Punkt zuzustimmen. Ebenfalls zuzustimmen ist den Argumenten für eine Verzerrung in den Daten in Form einer Untererfassung der " Superreichen" und Anregungen aus den USA, wie man diese Verzerrung verringern kann, sind im Sinne der Erhöhung der Datenqualität ebenfalls aufzunehmen.

Wenn wir diese Verzerrung bereinigten, dann wäre also das Maß für die Ungleichheit der Vermögensverteilung (der "Gini Koeffizient") in Österreich noch höher. So what? Als nur am Rande mit Verteilungsfragen beschäftigter Ökonom konstatiert man, dass sich die Verteilungsdebatte in Österreich irgendwann von der Bekämpfung der Armut zur Bekämpfung des Reichtums verlagert hat. Das neueste Problem der Verteilungsdebatte ist daher das Perzentil der "Superreichen". Beim allgemeinen Befund des Anstieges der Ungleichheit sind aber zwei unterschiedliche Phänomene völlig unterschiedlich zu beurteilen. Das eine ist ein Anstieg von Ungleichheit durch Abdriften der untersten Schicht der Einkommensverteilung weit unter das Medianeinkommen und gleichzeitig zunehmende Konzentration der Spitzeneinkommen und -vermögen. Dieses " Auseinanderdriften der Gesellschaft" wird von Stiglitz und anderen anhand der empirischen Befunde der USA beschrieben.

Völlig anders davon ist eine Situation wie in Österreich zu sehen, wo neben der durch zahlreiche Verteilungsstudien des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung belegten erfolgreichen Umverteilung durch die öffentlichen Haushalte gleichzeitig die Ungleichheit durch Konzentration von Vermögen und Einkommen an der Spitze der Verteilung zunimmt. Nach wie vor werden in Österreich verstärkt Anstrengungen unternommen, um am unteren Ende der Einkommensverteilung Verbesserungen zu erreichen, wie z .B. unterschiedliche Pensionsanpassungen oder die Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung. Wer die Zahlen zur steigenden Ungleichheit in Österreich zum Anlass für einen Vergleich mit den USA nimmt, wo ein Teil der armen Bevölkerungsschichten von Lebensmittelkarten lebt, hat völlig das Augenmaß verloren.

Irgendwann in den 70er-Jahren war der Fokus der Verteilungsdebatte auf der Situation der am schlechtesten Gestellten in der Gesellschaft: Verteilungspolitik sollte im Sinne einer "Theorie der Gerechtigkeit" (John Rawls) eine marktwirtschaftliche Gesellschaft mit Umverteilung hervorbringen, in der die am schlechtesten Gestellten relativ am besten abschneiden ("Maximin"-Prinzip). Von der anderen Seite gab es schwer ideologisch gefärbte "Beweise", dass ein ausgebauter Wohlfahrtsstaat mit Umverteilung die wirtschaftliche Dynamik lähmt und damit unfinanzierbar ist bzw. Armut nicht wirksam bekämpfen kann. Heute, 40 Jahre später, stehen wir in Österreich vor dem empirischen Befund, dass auch in einem immer noch weiter ausgebauten Wohlfahrtsstaat die Akkumulation von beträchtlichem Vermögen möglich ist. Obwohl schon ab einem international vergleichsweise geringen Jahreseinkommen von 60.000 Euro ein Spitzensteuersatz von 50 Prozent gilt, lassen sich viele Menschen nicht davon abhalten, durch mehr Anstrengung und Arbeitsleistung ein höheres Einkommen zu erzielen und davon etwas zu sparen, was im Endeffekt zu der eingangs erwähnten Vermögenskonzentration führt.

Der Wohlfahrtsstaat bremst somit offensichtlich nicht die wirtschaftliche Produktivität und eine dynamische Ökonomie kann erheblich umverteilen. Die Existenz von "Superreichen" in Österreich bei gleichzeitiger bedarfsorientierter Mindestsicherung ist eher eine Jubelmeldung als Grund zur Besorgnis.

Was schließlich den schädlichen Einfluss der Ungleichheit auf demokratische Prozesse ("Plutokratie") betrifft, so scheint das ein Phänomen eines immer größeren, deregulierten und damit politisch einflussreicheren Finanzsektors zu sein und nicht allgemein der Ungleichheit. "Superreiche" wie Warren Buffett fordern , dass sie die Politik zu höherer Steuerleistung anhält, während Goldman & Sachs durch ihre Personalpolitik den Einfluss auf die Politik zu stärken versuchen.

Natürlich bedeutet das vorher Gesagte nicht, dass nicht das Finanzvermögen in den nächsten Jahren im Zuge der "Aufräumungsarbeiten" nach der Krise einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten sollte. Es ist daraus auch keine prinzipielle Ablehnung von Vermögenskomponenten als Steuerbemessung abzuleiten. Im Rahmen einer Steuerstrukturreform kann und soll man das machen. Vorrangig dabei sind aber im Sinne der ("alten" ) Verteilungsgerechtigkeit eine Absenkung der Belastung mit Sozialversicherungsbeträgen im unteren Einkommensbereich und eine Absenkung der Schwelle, ab der man in Österreich als "reich" gilt und den Spitzensteuersatz zahlt.

Der nach einer allumfassenden Vermögenssteuer mit Hinweis auf die USA ohne gleichzeitig auch die gesamtwirtschaftliche Steuerquote und die Stufen und Tarife in der Einkommensteuer zu vergleichen, ist ein weiterer Beweis für die verkürzte Debatte. Der Rekurs auf die katholische Soziallehre, wie es Kurt Remele an dieser Stelle getan hat (Standard, 3. 11.), versehen mit einem Zitat über die "notwendig"e Enteignung von Grundbesitz im Interesse des Gemeinwohls ist auch nur ein weiterer Beweis dafür, wie sehr Augenmaß und Relationen in dieser Debatte verloren gegangen sind. - Irgendwie sollten wir wieder den Weg zurück von der obsessiven Beschäftigung mit dem einen Prozent der " Superreichen" zu einer für Österreich angemessenen Diskussion schaffen, in der Chancengleichheit und Bekämpfung von Armut im Mittelpunkt stehen. (Kurt Kratena, DER STANDARD, 6.11.2012)