
Mehr Sicht für die Kartellwächter.
Die geplante Kartellrechtsnovelle gibt der Bundeswettbewerbsbehörde neue
Instrumente in die Hand.
Im Frühjahr 2013 soll eine Kartellrechtsnovelle in Kraft treten, um die immer noch gerungen wird. Umzusetzen ist die Novelle vor allem vom Team rund um Theodor Thanner, der im Juli eine zweite Amtszeit als Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) antrat.
Nicht Teil der Novelle ist, dass die BWB über ihr Untersuchungs- und Aufgriffsrecht hinaus die Kompetenz für erstinstanzliche Entscheidungen erhält, wie es Thanner und viele Experten forderten. Anders als in Deutschland wird dies auf absehbare Zeit dem Kartellgericht vorbehalten bleiben. Auch eine Erhöhung des zu knappen BWB-Budgets ist nicht in Sicht. Große legistische Würfe, die die BWB zur Entscheidungsbehörde aufwerten, sind in der nächsten Legislaturperiode nicht zu erwarten.
Dennoch gibt es keine Anzeichen dafür, dass das Kartellrecht nur mit angezogener Handbremse vollzogen wird. Das Niveau der Strafen für Kartellrechtsverstöße auf EU-Ebene hat nicht abgenommen. Dazu kommt, dass immer mehr Unternehmen, die durch Kartellrechtsverstöße geschädigt wurden, ihre privaten Schadenersatzansprüche gegen Kartellsünder im Anschluss an Verurteilungen verfolgen. Dem trägt auch die Novelle Rechnung, indem sie Erleichterungen bei der Geltendmachung vorsieht.
Tatsächlich waren die vergangenen 18 Monate von einer beispiellosen Zunahme der Enforcement-Aktivitäten der BWB geprägt. Vor allem die Zahl der Hausdurchsuchungen hat stark zugenommen. Dies wird sich allein wegen der Kronzeugenregelung fortsetzen, die den Druck auf die Unternehmen zum Canossagang zur BWB deutlich erhöht hat. Dank neuer Möglichkeiten in der Novelle und technischer Aufrüstung wird die BWB solche Kartellverfahren künftig effizienter führen können.
Schwieriger ist es einzuschätzen, welche Branchen künftig auf den Radar der BWB gelangen. Sie hat noch keinen echten "Masterplan" (das neue Wettbewerbsmonitoring könnte dies verändern). Und es ist von außen nur schwer abschätzbar, in welchen Branchen gegen Kartellrecht verstoßen wird. Man kann allerdings erwarten, dass Branchen mit hoher Endverbrauchernähe und einem "gefühlten" Nichtfunktionieren des Wettbewerbsgeschehens das größte Risikopotenzial haben. Vor allem die Energiewirtschaft bleibt ein kartellrechtlicher Dauerbrenner. In der Tat sieht die Regierungsvorlage eine Ausweitung der Preismissbrauchskontrolle bei Energieversorgern (Strom und Gas) vor, die im Ansatz einer Preiskontrolle auf Endverbraucherstufe gleichkommt. Derzeit sieht es allerdings nicht so aus, als ob die Bestimmungen in dieser Form Gesetz werden.
Lebensmittel im Fokus
Ähnliches gilt für den Lebensmitteleinzelhandel. Unabhängig davon, wie das laufende Kartellverfahren gegen Rewe ausgeht, dürften die Branche und die vorgelagerte Lieferkette weiterhin im Visier der BWB bleiben. Richtungsweisend sind hier vor allem die Erkenntnisse der Taskforce Food der EU-Kommission, die derzeit gemeinsam mit den nationalen Behörden die Wettbewerbslage im Handel untersucht. Zudem könnte die Reform der gemeinsamen EU-Agrarpolitik, die 2013 abgeschlossen werden soll, auf die Kartellrechtsagenden der Behörden ausstrahlen.
Daneben geben die alljährlichen Empfehlungen der österreichischen Wettbewerbskommission (WBK) Anhaltspunkte für zukünftige Untersuchungen. In ihrer jüngsten Empfehlung regt die WBK unter anderem folgende Schwerpunkte an: Software für Architekturbüros (CAD-Programme); Preisbildung und -entwicklung kommunaler Gebühren (z. B. Wasser, Abwasser, Müll); und Kooperationen in der Immobilienbranche (Immobilienringe).
Zudem soll die Marktmachtmissbrauchskontrolle verstärkt werden. Dazu wird die Novelle weitere Marktanteilsschwellen einführen, bei deren Überschreiten eine marktbeherrschende Stellung vermutet wird. Unternehmen werden dadurch früher als bisher mit der Missbrauchskontrolle konfrontiert werden.
Für die BWB werden die kommenden Jahre herausfordernd. In der Energiewirtschaft wird sie unter starkem öffentlichen Druck stehen, Untersuchungsaktivitäten zu setzen. Dabei wird sie darauf achten müssen, sich nicht in einen Kampf gegen Windmühlen ziehen zu lassen. Nicht jedes Symptom eines vermeintlich mangelnden Wettbewerbs ist tatsächlich auf Kartellrechtsverstöße zurückzuführen und lässt sich mit Mitteln des Kartellrechts in den Griff bekommen.
Andererseits ist zu erwarten, dass die Behörde ihre neuen Ermittlungsbefugnisse nutzen wird. Die Möglichkeit bindender Auskunftsverlangen wird wohl dazu führen, dass sich der Kartellrechtsvollzug noch mehr als bisher ohne Einbindung des Kartellgerichts auf einer vorgelagerten Stufe abspielen wird. (Volker Weiss, DER STANDARD, 7.11.2012)