Vergangene Woche sorgte der Freispruch des Journalisten Kostas Vaxevanis in Griechenland für Aufregung. Er war wegen der Veröffentlichung einer Namensliste mutmaßlicher griechischer Steuerflüchtlinge in der Schweiz angeklagt worden.
Bemerkenswertes Detail dabei: Die Liste soll bereits im Jahr 2010 von der damaligen französischen Finanzministerin und jetzigen IWF-Chefin, Christine Lagarde, ihrem griechischen Kollegen Papakonstantinou übergeben worden sein. Der IWF wusste also schon lange von der Liste. Von politischem Druck auf Steueroasen war allerdings nichts zu vernehmen.
Zweitausend Personen finden sich auf Vaxevanis´ Steuerliste. Wie viele Personen haben ihr Einkommen in der Schweiz im Rahmen der europäischen Richtlinien deklariert? In Summe siebzig! Auch die griechischen Steuerbehörden haben sich daher nicht zu Unrecht den Zorn ihrer Bevölkerung zugezogen. Was aber konkret hätten die griechischen Behörden mit der Liste unternehmen können? Die Antwort lautet: Nicht allzu viel! Griechenland hat erst Ende 2010 - also nach Erstellung der Liste - ein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz geschlossen. Rückwirkende Anfragen sind dabei jedoch ausgenommen.
Die entsprechenden Amts- bzw. Rechtshilfegesuche an die Schweiz wären somit wahrscheinlich zur Sackgasse geworden, da sie nur in Fällen von schwerem Steuerbetrug (sprich: nur bei Dokumentenfälschung) gewährt worden wären. Selbst nach heutigen - den OECD-Vorgaben entsprechenden - Standards sind nationale Steuerbehörden meist machtlos. Sie müssen bei Anfragen einen "begründeten Verdacht" nachweisen, also bereits wissen, wer welche Gelder wo genau angelegt hat. Es ist daher in erster Linie ein skandalös lückenhaftes internationales Regelwerk, das Steuerflucht ermöglicht.
Nach einer Schätzung des Tax Justice Networks beträgt die Summe des weltweit versteckten Privat(!)vermögens zwischen 21 und 32 Billionen US-Dollar. Das entspricht einem jährlichen Steuerausfall von mindestens 189 Milliarden Dollar. Es sind aber nicht nur reiche Einzelpersonen, Terroristen oder Schwarzmarkthändler die von diesem System profitieren, sondern vor allem Banken, ihre Großkunden und internationale Konzerne. So sind Schattenbanken in Steueroasen die schwarzen Löcher des internationalen Finanzsystems und erst kürzlich bestätigte Coca-Cola, es werde Griechenland aufgrund der dort zu hohen Unternehmenssteuern den Rücken kehren, um die Schweizer Steuerprivilegien für Holding- und Domizilunternehmen zu nutzen.
Löblicherweise ist die EU-Kommission ist der Ansicht, "dass der Kampf gegen Steuerhinterziehung in Griechenland intensiviert werden muss". Die Europäische Union hat eine wirksame (wenn auch verbesserbare) Regelung zur Verhinderung von Steuerflucht geschaffen- die Europäische Zinsrichtline. Sie sieht einen automatischen Informationsaustausch der Steuerbehörden vor. Doch zwei EU-Länder bestehen weiterhin auf Extrawürsten: Luxemburg und Österreich halten mit Zähnen und Klauen an ihrem Bankgeheimnis fest, was nicht nur EU-intern für große Verärgerung sorgt.
Österreichs ist aber vor allem dafür verantwortlich, dass es der EU nicht möglich ist, Druck auf andere Steueroasen aufzubauen: Man blockiert schlichtweg das Verhandlungsmandat über den automatischen Informationsaustausch der EU mit der Schweiz - zur großen Freude der internationalen Steuerflüchtlingsgemeinschaft.
Um es in den Worten von EU-Steuerkommissar Semeta zu sagen: "Österreichs Blockade kostet uns Milliarden." Ein Beispiel: Die abgeführte Quellensteuer aus Österreich nach Griechenland betrug 2011 schlappe 250. 000 Euro! Begründet wird diese Blockade seitens des österreichischen Finanzministeriums mit der Ausrede, es gebe ja noch viel schlimmere Steueroasen. Dieses Argument ist allerdings auf dem Niveau eines Diebes der weiter stiehlt, nur weil andere auch nicht damit aufhören.
Der Gipfel an Scheinheiligkeit ist die Behauptung, Österreich habe mit dem bilateralen Steuerabkommen mit der Schweiz den Kampf auf Steuersünder intensiviert. In Wirklichkeit kann man gerade dadurch den automatischen Informationsaustausch weiter blockieren und so seine eigene Position als Steueroase festigen. Steuerkriminelle, die nervenstark genug waren ihr Geld möglichst lange in der Schweiz versteckt zu halten, werden dadurch belohnt. In den meisten Fällen werden sie weniger Steuern als auf legalem Weg entrichten müssen. Das Einzige, das an diesem Abkommen wirklich funktionieren wird, sind die Amnestie und die Verhinderung neuer Strafverfahren.
Finanziell einträglicher und vor allem einer Gemeinschaft würdiger wäre es daher, Österreich würde dem automatischen Informationsaustausch der Finanzbehörden in der EU endlich zustimmen und dahingehend auch Druck auf die Schweiz aufbauen.
Was angesichts dieser Tatsachen wirklich fassungslos macht, ist nicht, dass ÖVP und Finanzministerium weiterhin als Schutzpatron von Banken und Steuerflüchtlingen fungieren, sondern dass die Sozialdemokratie bei alledem ohne Murren mitspielt. Um es in den Worten von EU-Kommissar Semeta zu sagen: "Das Konzept des Bankgeheimnisses gab es lange genug. Es ist überholt und muss so rasch wie möglich ersetzt werden" - nicht zuletzt im Sinne jener Menschen, die in Krisenländern wie Griechenland am meisten unter den Kürzungen von Arbeitslosengeld und Mindestpensionen leiden. (David Walch, DER STANDARD, 7.11.2012)