Athen - Griechenland ist neuen Milliardenhilfen der internationalen Geldgeber einen entscheidenden Schritt näher gekommen: Begleitet von wütenden Massenprotesten beschloss das Parlament in Athen mit hauchdünner Mehrheit ein neues Spar- und Reformpaket der Regierung. 153 der insgesamt 300 Abgeordneten stimmten für die Pläne, die milliardenschwere Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen sowie eine Aufweichung des Kündigungsschutzes vorsehen.
Aber neue Herausforderungen warten: Nun muss sie ihren Haushalt durchs Parlament bringen. Nur einen Tag später tagt dann die Eurogruppe, um zu entscheiden, wie es mit dem Land weitergehen soll.
Sonntag weiterer Großkampftag
Das nun beschlossene Gesetz enthält den Großteil der von der Regierung angestrebten Sparvorhaben in Höhe von 13,5 Milliarden Euro (hier finden Sie die Details). Es ist eine Vorstufe des Haushaltsgesetzes für das kommende Jahr, das die Regierung voraussichtlich am Sonntag durchboxen will. Damit soll dann der Weg freigemacht werden für die nächste Hilfstranche von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Höhe von 31,5 Milliarden Euro. Ohne diese stünde das Land vor der Staatspleite.
Die Sparpläne waren auch in der fragilen Drei-Parteien-Koalition umstritten. Der kleinste Bündnispartner, die Demokratische Linke, enthielt sich der Abstimmung. Die konservative Partei Neue Demokratie von Samaras schloss nach der Stimmabgabe einen Abgeordneten aus, die sozialistische Pasok-Partei sechs Fraktionsmitglieder, nachdem diese das Vorhaben nicht mitgetragen hatten.
Dramatische Arbeitslosenzahlen
Derweil kommt von der Statistikfront nichts gutes. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland ist im August auf ein neues Rekordhoch gestiegen. Die Arbeitslosenquote erreichte 25,4 Prozent nach 25,1 Prozent im Juli, wie die griechische Elstat am Donnerstag mitteilte. Insgesamt waren 1,267.595 Menschen in dem Land mit rund elf Millionen Einwohnern arbeitslos. Dramatisch ist die Lage vor allem für junge Menschen bis zum Alter von 24 Jahren. Die Arbeitslosenquote belaufe sich in dieser Altersgruppe auf 58 Prozent.
Arbeitslose erhalten in Griechenland nur ein Jahr lang Unterstützung. Das neue Spar- und Reformprogramm sieht lediglich vor, dass Langzeitarbeitslose ab 2014 für ein weiteres Jahr lang eine Hilfe in Höhe von monatlich 200 Euro erhalten sollen.
Wasserwerfer gegen Brandsätze
An den größten Protesten seit Monaten nahmen am Mittwoch allein in der Hauptstadt Athen rund 100.000 Demonstranten teil. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, die mit Steinen und Brandsätzen warfen. Mindestens 35 Menschen wurden festgenommen. Berichte über schwere Verletzungen lagen nach Polizeiangaben nicht vor. Wegen heftigen Regens leerte sich später der Syntagma-Platz im Herzen der Hauptstadt.
Am zweiten Tag des Generalstreiks blieben Schulen, Banken, Behörden und der öffentliche Transport geschlossen, während sich in den Straßen unabgeholter Müll türmte. Viele Griechen sind aufgebracht, sie sehen sich als Opfer einer drakonischen Politik, die vor allem die Armen trifft und von der die Elite verschont bleibt. "Diese Maßnahmen bringen uns stückchenweise um, und den Abgeordneten da drinnen ist das scheißegal", sagte eine 52-jährige Mutter zweier Kinder, die nach eigenen Angaben mit 1000 Euro im Monat auskommen muss.Am Donnerstag werden die Streiks fortgesetzt.
Die U-Bahnen, die Stadtbahn und die Taxibesitzer streikten für weitere 24 Stunden. Im Zentrum Athens herrschte wie auch in den vergangenen zwei Tagen ein gewaltiges Verkehrschaos. Tausende Menschen versuchten mit ihrem Auto zur Arbeit zu fahren, berichteten griechische Medien. Die Streikenden im Bereich Verkehr wehren sich damit gegen weitere Kürzungen ihrer Gehälter. Die Taxieigner protestieren gegen die Öffnung ihres Berufes.
Das Spar- und Reformprogramm sieht vor, dass auch Hotels und andere touristische Unternehmen künftig Gäste mit eigenen Autos von Flughäfen und Häfen abholen dürfen und auch Rundfahrten organisieren können. Die Taxi-Lizenzen verlieren damit an Wert, meint die Taxi-Gewerkschaft. Rund 50 Gewerkschaftsmitglieder der Elektrizitätsgesellschaft (DEI) besetzten am Donnerstagmorgen vorübergehend die Büros ihrer Firma. Damit protestieren sie gegen Gehaltskürzungen bis zu 30 Prozent. Das Land befindet sich seit Jahren in der Rezession, die Arbeitslosigkeit stieg auf einen Rekordwert von 25 Prozent.
"Politischer Wille ist da"
Im Parlament kam es am Donnerstag ebenfalls zu turbulenten Szenen: Die Beratungen mussten kurzzeitig unterbrochen worden, weil die Mitarbeiter des Abgeordnetenhauses aus Protest gegen Gehaltskürzungen die Arbeit verweigerten.
In einer hitzigen Debatte warb Ministerpräsident Antonis Samaras um die Zustimmung der Abgeordneten, damit die dringend benötigte Finanzhilfe gesichert werden und der Bankrott abgewendet werden kann. Nach der Abstimmung sagte er der Nachrichtenagentur Reuters: "Wir müssen nun den Haushalt bewilligen, und direkt danach für die Erholung der Wirtschaft arbeiten."
Die Euro-Finanzminister könnten bereits auf ihrem Treffen am Montag in Brüssel beschließen, Griechenland zwei Jahre mehr Zeit zu geben, um seine Budgetziele zu erreichen. Dann dürfte eine Debatte starten, auf welche Weise sich der gigantische Schuldenberg des Landes reduzieren lässt. Auch Wirtschaftsexperten attestieren Samaras deutlich überzeugendere Reformbemühungen als den vorangegangenen Regierungschefs. "Es gibt den politischen Willen", sagte Analyst Mujtaba Rahman von Eurasia Group. "Die Frage ist, ob die Bürokratie die Möglichkeiten hat, die Reformen auch umzusetzen." (APA/Reuters, 8.11.2012)